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Stadtteilspaziergang Stadtamhof: Der einstige Gegenpol zur Freien Reichsstadt

Seit 2006 bildet Stadtamhof zusammen mit der Altstadt und Teilen der Wöhrde das Regensburger Welterbeensemble. Dabei war der heutige Stadtteil über Jahrhunderte hinweg eine eigene Stadt mit Stadtrecht und Wappen. Der Spaziergang mit Stadtheimatpfleger Prof. Dr. Gerhard Waldherr ist deshalb auch ein Ausflug in die mittelalterliche Stadtgeschichte.

Fotografie: Blick auf Stadtamhof
Blick auf Stadtamhof © Bilddokumentation Stadt Regensburg

29. August 2024

Stadtamhof ist Regensburgs kleinster Stadtteil. Zu Regensburg gehört er erst seit 1924. Damals wurden mehrere Vororte im Stadtnorden eingemeindet. „Diese Vororte waren in der Regel ländlich geprägte Dörfer. Stadtamhof hingegen war bereits 1496 vom bayerischen Herzog zur Stadt erhoben worden. Es hatte ein eigenes Bezirksamt und einen eigenen Amtsgerichtssitz – und dieser Status spiegelte sich im Selbstverständnis seiner Einwohner“, erklärt Stadtheimatpfleger Prof. Dr. Gerhard Waldherr.

Fotografie: Das Stadtamhofer Stadtwappen zeigt drei Schlüssel.
Das Stadtamhofer Stadtwappen zeigt drei Schlüssel. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

Das historische Stadtamhofer Stadtwappen mit seinen drei Schlüsseln prangt bis heute über dem Eingang des ehemaligen Rathauses (Stadtamhof 7). „Bayern hatte Stadtamhof stets als Gegenpol zur Freien Reichsstadt Regensburg aufgebaut. Mit der Eingemeindung verloren die Stadtamhofer eine Eigenständigkeit, die über Jahrhunderte gepflegt worden war.“

Lage an der Steinernen Brücke war entscheidend

Aber der Reihe nach: Die erste urkundliche Erwähnung einer Siedlung an dieser Stelle datierte die Forschung bislang in das Jahr 981 nach Christus. Damals übertrug Kaiser Otto II. ein Landgut namens Scierstadt an das Kloster St. Emmeram. „Lange ging man fest davon aus, dieses Landgut habe sich hier, am nördlichen Donauufer befunden“, so Waldherr. Im Namen der in Stadtamhof gelegenen Straße „An der Schierstadt“ schlug sich diese Annahme nieder. „Neuere Forschungen weisen allerdings darauf hin, dass Scierstadt auch im Bereich des heutigen Pentling gelegen haben könnte“, so der Stadtheimatpfleger. Weiterhin unstrittig sei hingegen, dass sich der ursprüngliche Siedlungskern Stadtamhofs nicht auf Höhe des heutigen Brückenbasars befand, sondern weiter östlich, im Bereich des Gries. „Erst mit dem Bau der Steinernen Brücke im 12. Jahrhundert verlagerte sich der Schwerpunkt in Richtung Westen.“ Gebäude aus dieser Zeit sind kaum erhalten geblieben, denn Stadtamhof wurde im Lauf der Jahrhunderte mehrmals zerstört. „Besonders katastrophal war das Jahr 1809“, so Waldherr. Im österreichisch-französischen Krieg kämpfte Österreich gegen das mit Napoleon verbündete Bayern. „Im April 1809 standen die Franzosen südlich der Stadt Regensburg und waren dabei die Stadt einzunehmen, die österreichische Besatzung musste aus der Stadt fliehen und zog sich auf die nördliche Donauseite zurück. Um diesen Rückzug abzusichern, schoss eine auf dem Dreifaltigkeitsberg stationierte österreichische Artilleriestellung, die Feuerschutz geben wollte, Steinweg und Stadtamhof in Brand. Dabei wurden mehr als zwei Drittel der Stadtamhofer Häuser ein Raub der Flammen.“ Auch der einstige Nordturm und die nördliche Befestigungsanlage der Steinernen Brücke fielen dem Beschuss zum Opfer. Beim Wiederaufbau entstand die durch niedrige Häuser und Läden geprägte Bebauung, die den Brückenbasar bis heute ausmacht.

Fotografie: Prof. Dr. Gerhard Waldherr erklärt eine Infotafel zum Spitalgelände.
Die Infotafel am Eingang verdeutlicht den Aufbau des Spitalgeländes. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

Spitalgelände: Regensburger Enklave auf Stadtamhofer Boden

Wir biegen gleich hinter dem Brückenkopf nach links ab in Richtung Spitalgarten. Bis ins 19. Jahrhundert hätten diese paar Schritte einen gewaltigen Unterschied ausgemacht, denn das Spitalgelände war eine Regensburger Enklave auf Stadtamhofer Boden. Der Regensburger Bischof und Regensburger Bürger hatten das Spital Anfang des 13. Jahrhunderts gegründet. „Weil man die Kranken damals lieber nicht direkt in der Stadt unterbrachte, wählten sie diesen Ort am nördlichen Brückenkopf, außerhalb der Stadtmauern.“ Als Stadtamhof 1496 die Stadtrechte erhielt, blieb das Spitalgelände gleichwohl Teil der Freien Reichsstadt Regensburg. Das von Konkurrenz geprägte Verhältnis der Nachbarstädte machte sich auch hier bemerkbar. „Man wollte den Regensburger Bürgern nicht zumuten, auf ihrem Weg ins Spital Stadtamhofer Boden betreten zu müssen. Deshalb gab es direkt von der Steinernen Brücke aus einen Zugang mit einem eigenen Tor, der auf das Spitalgelände führte. Umgekehrt verbot Stadtamhof seinen Einwohnern, das im Spital gebraute Bier zu kaufen.“

Fotografie: Der Kirchenraum der Spitalkirche
Der Kirchenraum der Spitalkirche © Bilddokumentation Stadt Regensburg

Vorbei am Senioren- und Pflegeheim St. Katharina und den Räumen der Stiftungsverwaltung gelangen wir zum St.-Katharinen-Platz. Den Brunnen mit einer vergoldeten Statue der Heiligen, die im Spital von jeher besonders verehrt wurde, hat 2018 der Künstler Sandro Herbrand gestaltet. Auch die kürzlich renovierte Spitalkirche im Zentrum des Platzes ist der heiligen Katharina geweiht. Heinrich Zandt, Mitglied einer der reichsten Regensburger Patrizierfamilien, hatte sich die Kirche um das Jahr 1230 als Grabstätte errichten lassen. Ein Relief des Zandt‘schen Familienwappens – ein Löwe mit stilisiertem Menschenkopf, in dessen Gesicht die Zähne besonders hervortreten – befindet sich neben der Kirchentür. „Die Katharinenkirche mit ihrem sechseckigen Grundriss ist mit das Früheste an Gotik, was wir in Regensburg haben, älter als der Dom, und unbedingt einen Besuch wert“, schwärmt Waldherr. Hinter der Kirche laufen gerade die Sanierungsarbeiten am einstigen Ökonomie-Trakt des Spitals. Hier entstehen Wohnmöglichkeiten für die Auszubildenden des Seniorenheims. Gebaut wird auch im sogenannten Schreiberhaus. Die Räume, in denen einst der Spitalschreiber wohnte und arbeitete, werden zu einem Begegnungsort, der Vereinen und Initiativen zur Verfügung stehen soll.

Die Hauptstraße: einst eine Hauptverkehrsader

Über den Franziskanerplatz und verwinkelte Gassen gelangen wir zurück zur Hauptstraße, die bis 1924 auch so hieß. „Mit der Eingemeindung mussten einige Straßen umbenannt werden, um Dopplungen zu vermeiden“, erklärt Waldherrr. Seitdem trägt die zentrale Straße den Namen des Stadtteils. Vor 120 Jahren war sie eine überaus belebte Verkehrsader. „Alles, was aus nördlicher Richtung nach Regensburg geliefert wurde, musste über die Steinerne Brücke und damit über diese Straße transportiert werden.“ Ab Anfang des 20. Jahrhunderts befand sich hier zudem der Umsteigepunkt zwischen der Regensburger Straßenbahn, die von Süden her über die Steinerne Brücke fuhr, und dem Walhalla-Bockerl, einer Dampfeisenbahn, die zwischen Regensburg und Wöhrd verkehrte. Eine Lok der Walhallabahn kann bis heute an der Einfahrt nach Stadtamhof Am Protzenweiher bewundert werden. Auf unserem Weg dorthin kommen wir am Colosseum vorbei. Die einstige Gaststätte in Stadtamhof 5 war in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs ein Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg. „Rund 400 Zwangsarbeiter wurden hier auf engstem Raum unter verheerenden Umständen untergebracht und jeden Tag durch die Stadt zum Arbeitseinsatz getrieben. Mehr als 50 Menschen überlebten die Gefangenschaft nicht.“ Ein Schild an dem Gebäude und eine Gedenkstele am Brückenbasar erinnern an dieses unrühmliche Kapitel der Stadtgeschichte.

Fotografie: Eine Lok der Walhallabahn ist am Protzenweiher aufgestellt.
Eine Lok der Walhallabahn ist am Protzenweiher aufgestellt. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

Europakanal: Bypass für Handelsschiffe

Durch das Pylonentor erreichen wir die Straße Am Protzenweiher, die parallel zum Europakanal verläuft. Der Kanal wurde in den 1970er Jahren errichtet. „Bis zu seiner Fertigstellung war Regensburg der Endhafen für die internationale Donauschifffahrt“, so Waldherr. „Denn die Frachtschiffe waren zu groß, um unter der Steinernen Brücke durchzufahren. Erst mit dem Europakanal entstand ein Bypass, über den die Schiffe seitdem Regensburg passieren können.“ Gebaut wurde der Kanal in der früheren Flutmulde, dem sogenannten Protzenweiher. Auf dem Protzenweiher fand die Regensburger Dult statt, die Walhallabahn passierte die Mulde in Richtung Drehergasse. „Bei hohen Wasserständen war das natürlich nicht möglich. Dann gab es nur ein kleines Flutbrückerl, eine aufgemauerte Straße, über die man zumindest zu Fuß nach Stadtamhof gelangen konnte.“
Wir gehen weiter, vorbei an der Protzenweiherbrücke zur Andreasstraße („vor der Eingemeindung: Alte-Mang-Gasse“). Im ehemaligen Klostergebäude der Augustiner Chorherren in der Andreasstraße 9 hat die Hochschule für Katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik ihr Zuhause, „die älteste bis heute bestehende katholische Kirchenmusikschule der Welt“. Gegründet 1874, feiert sie in diesem Jahr ihr 150-jähriges Jubiläum. Aktuell studieren hier junge Menschen aus 12 Ländern.

Fotografie: Der Andreasstadel ist heute Künstlerhaus und Wohngebäude.
Der Andreasstadel ist heute Künstlerhaus und Wohngebäude. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

Entlang der Andreasstraße: Gerhardingerschule und Andreasstadel

Am Ende der Andreasstraße befindet sich die Gerhardingergrundschule. Das Gebäude war ursprünglich ein Kloster der Augustiner Chorfrauen, die hier eine Schule für höhere Töchter betrieben. „Eine der Schülerinnen war die spätere Nonne Theresia Gerhardinger, Tochter eines Handwerkerhaushalts Am Gries“, erzählt Waldherr. Als die Schule im Zuge der Säkularisation geschlossen wurde, setzte Theresia sich gemeinsam mit dem Bischof dafür ein, ein Unterrichtsangebot, insbesondere für Mädchen aufzubauen. „Den Unterricht führte sie zusammen mit anderen jungen Mädchen durch, die sie als Hilfslehrerinnen ausbildete.“ In Neunburg vorm Wald gründete sie 1835 den Orden der Armen Schulschwestern. Theresia Gerhardinger wurde 1985 durch Papst Johannes Paul II. seliggesprochen und ihre Büste 1998 in die Walhalla aufgenommen.
Schräg gegenüber der Gerhadingerschule steht ein weiteres markantes Gebäude: der Andreasstadel. Er wurde 1597 als Stadtamhofer Salzstadel errichtet. „Der Regensburger Salzstadel entstand erst zwanzig Jahre später. Der Salzhandel war damals ein Politikum. Regensburg wollte das lukrative Geschäft nicht Stadtamhof allein überlassen.“ Um den Abfluss der Zolleinnahmen nach Regensburg zu verhindern, zogen die Bayern die Salzschiffe fortan auf die Nordseite der Donau – und damit wieder in den eigenen Zuständigkeitsbereich. „Die Legende erzählt, dass die Regensburger daraufhin einen besonders kräftigen Schiffsmann auf einen Pfeiler der Steinerne Brücke stellten, der die Zugseile der bayerischen Salzschiffe mit einer Hacke durchgeschlagen haben soll.“ Seit seiner Sanierung Anfang der 2000er Jahre dient der Andreasstadel als Wohn- und Künstlerhaus. Er beherbergt Ateliers, ein Kino und ein Restaurant und ist auch ein Symbol für die Entwicklung des Stadtteils in den vergangenen Jahrzehnten. „In den letzten 20, 30 Jahren sind viele Gebäude renoviert worden“, so der Stadtheimatpfleger. „Stadtamhof hat einen enormen Aufschwung genommen und zählt heute zu den beliebtesten Wohngegenden der Stadt.“

Text: Katrin Butz