
Liebe Regensburgerinnen und Regensburger,
ich freue mich, Sie zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus 2023 einladen zu dürfen. Gleichzeitig geht es mir nahe, dass der Kampf gegen Rassismus, gegen Antisemitismus, gegen Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung, fortwährend geführt werden muss und eher an Relevanz zunimmt, als dass sich die Situation verbessert.
Weiterhin erleben Mitmenschen in unserem Land, und auch in unserer Stadt, tagtäglich Rassismus. Reem Alabali-Radovan, die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus, hat es kürzlich richtig gesagt: „Es geht um Hass und Gewalt, aber auch um institutionellen und strukturellen Rassismus, der sich durch bewusste wie auch unbewusste Handlungsroutinen auswirken kann – sei es am Arbeitsplatz, bei der Bewerbung um eine Wohnung oder im Kontakt mit Behörden.“ Der von ihr veröffentlichte erste Bericht „Rassismus in Deutschland“ stellt dies eindrücklich dar und nimmt dabei auch die öffentliche Verwaltung nicht aus.
In diesen Zeiten gibt es wahrlich keinen Mangel an Gründen, besorgt zu sein: der fortwährende Angriffskrieg gegen die Ukraine, Unruhen und blutige Auseinandersetzungen im Iran, in Afghanistan und vielen weiteren Regionen der Welt, stark steigende Preise für Energie und Lebensmittel, ein überall spürbarer rauerer Ton in gesellschaftlichen und politischen Debatten. Gerade in diesen Zeiten müssen vulnerable Gruppen besonders geschützt werden und dürfen nicht zum Spielball populistischer Diskurse oder zu Sündenböcken gemacht werden. Dies zu verhindern ist auch in Regensburg unsere Aufgabe als Stadtgesellschaft und als Verwaltung.
Die Internationalen Wochen gegen Rassismus mit ihren vielfältigen Veranstaltungsformaten legen zu Recht dort den Finger in die Wunde, wo die Probleme besonders groß sind. Gleichzeitig zeigen sie aber auch Wege auf, wie wir alle, individuell und gemeinsam, die Zukunft besser gestalten können.
Ich möchte mich herzlich bei allen bedanken, die die Veranstaltungen der kommenden Wochen möglich gemacht haben. Ganz besonders bei unserem Integrationsbeirat und dem Amt für Integration und Migration als geschäftsführende Stelle, die in den letzten Monaten die umfangreichen Planungen koordiniert haben.
Ihnen allen wünsche ich vielfältige Erfahrungen, neue Perspektiven und viele bereichernde Begegnungen!
Ihre
Gertrud Maltz-Schwarzfischer
Oberbürgermeisterin
Am 21. März 1960 wurden in der Arbeiter*innenstadt Sharpeville in Südafrika 69 Schwarze Menschen vor der Polizeistation erschossen. 1966 wurde der 21. März von den Vereinten Nationen zum „Internationalen Tag zur Überwindung von rassistischer Diskriminierung“ ausgerufen. Heute sollten wir einen Augenblick innehalten und mit kritischem Blick überprüfen, wie weit wir im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung gekommen sind.
Die Internationalen Wochen gegen Rassismus IWgR bestehen aus zwei Wochen der Solidarität mit dessen Opfern und erinnern an den Widerstand gegen Rassismus. Sie finden jährlich rund um den 21. März statt, um an die blutige Niederschlagung des friedlichen Protests gegen die diskriminierenden Passgesetze des Apartheid-Regimes in Südafrika zu erinnern. In den Pässen der Schwarzen Menschen wurden damals Informationen über Herkunft, Aussprache, Farbe und Struktur der Haare, Fingernägel und Lippen dokumentiert. Das Ziel: Menschen zu klassifizieren, zu sortieren und Gruppen zuzuteilen, um sie dann zu trennen und zwangsumzusiedeln. Dieser Tag und diese Wochen sollen uns auch daran erinnern, dass Rassismus seitdem nicht aufgehört hat und wir uns ihm täglich um uns herum und in uns stellen müssen. „Misch dich ein!“ lautet deshalb der Aufruf in diesem Jahr.
Nicht erst seit Hanau, Halle, Walter Lübcke, den NSU-Morden, den Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte oder dem Erstarken der AfD ist bekannt, dass Deutschland ein Rassismusproblem hat. Es gab lange weder eine Einsicht noch gibt es ein entschlossenes Vorgehen dagegen. Im Januar dieses Jahres wurde nun zum ersten Mal ein sehr umfassender Lagebericht Rassismus in Deutschland durch die Bundes regierung veröffentlicht, der sich explizit mit Rassismus befasst. Dieser zeigt u. a. Rassismus in seinen Erscheinungsformen auf, erhebt Rassismuserfahrungen und rassistisch motivierte Straftaten, formuliert Maßnahmen. Er benennt auch klar, dass Alltagsrassismus und struktureller Rassismus lange Zeit verkannt wurden.
Rassismus fängt nicht erst mit Gewalt an. Er ist nicht immer sichtbar und geschieht im Alltag, wenn Menschen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft oder Religionszugehörigkeit ausgegrenzt, diskriminiert oder Ressentiments ausgesetzt sind. Betroffene werden am Arbeits- und Wohnungsmarkt, in der Kita, Schule und Ausbildung oder in anderen Situationen diskriminiert. Sie machen bittere Erfahrungen mit rassistischen, „verdachtsunabhängigen“ Polizeikontrollen, dem sogenannten Racial Profiling, und sind Beleidigungen, Abwertungen, Ausgrenzung und Zuschreibungen ausgesetzt. Dies alles zeigt die Bandbreite von Rassismus, von kleinen Stichen bis hin zu struktureller, existentieller und tödlicher Gewalt. Er ist und bleibt eine Realität unserer Gesellschaft und staatlicher Institutionen, die die Würde des Menschen jedes Mal aufs Neue verletzen.
Die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die Gleichheit aller Menschen im Alltag und vor dem Gesetz, wie im Grundgesetz geschrieben, sollten das Grundprinzip unseres täglichen Handelns sein. Durch rassistische, antisemitische und andere menschenverachtende Aktionen und Provokationen gelingt es einer rechtspopulistischen und demokratiefeindlichen Randgruppe, den gesellschaftlichen und politischen Diskurs zu bestimmen und wichtige Themen zu verdrängen oder zu überlagern. Die Perspektive und die Stimmen, der von Rassismus und Diskriminierung unmittelbar Betroffenen, und derjenigen, die sich tagtäglich dem Kampf gegen Rassismus stellen, finden viel zu selten Gehör.
Krisenzeiten und inkonsequente politische Entscheidungen rufen wie auch in der Vergangenheit Menschen auf den Plan, die Verschwörungstheorien und menschenfeindliche Ressentiments verbreiten, die Gesellschaft spalten, polarisieren und Zweifel an einem offenen, vielfältigen, multiethnischen und gleichberechtigten Leben schüren wollen. Die Zahl rechtsmotivierter, rassistischer, antisemitischer Übergriffe und anderer Auswirkungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auf Geflüchtete, PoC, Juden und Jüdinnen, Muslime und Muslimas und Andersaussehende hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Gerade in diesen Zeiten ist eine offene, engagierte und solidarische Gesellschaft, die sich solchen menschenfeindlichen Tendenzen entgegenstellt, Zivilcourage zeigt und dem Treiben Einhalt gebietet, sehr wichtig, unverzichtbar und ganz im Sinne des diesjährigen Mottos der IWgR 2023 „Misch Dich ein“.
Deshalb lasst uns gemeinsam an unserer Zivilcourage arbeiten und uns einmischen.
Lasst uns uns einmischen, damit keine Kriege Menschenleben kosten und Lebensgrundlagen zerstören.
Lasst uns uns einmischen, damit alle Geflüchteten unkompliziert aufgenommen werden.
Lasst uns uns einmischen, damit alle einen freien Zugang zu Informationen und Bildung haben.
Lasst uns uns einmischen, um Unterdrückung, Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen.
Lasst uns uns einmischen, damit wir Gerechtigkeit schaffen und Rechte sichern.
Lasst uns uns einmischen, damit wir uns einer Zukunft nähern, in der Rassismus und rechte Gewalt der Vergangenheit angehören, in der eine offene, vielfältige und gleichberechtigte Gesellschaft selbstverständlich ist.
Lasst uns uns einmischen, mit Menschen solidarisch sein, ihnen helfend beistehen und nicht wegsehen, wenn rassistische und diskriminierende Übergriffe statt finden.
Lasst uns uns einmischen, damit sich alle angekommen, zugehörig, geborgen und gleichberechtigt fühlen.
Wir freuen uns, dass das Programm und der Kreis der Kooperationspartnerinnen und -partner von Jahr zu Jahr immer größer wird. Denn nur wenn wir alle gemeinsam lauter, sichtbarer, aktiver und widerständiger gegen die zunehmenden Angriffe auf Menschenrechte und Menschenwürde werden und „uns einmischen“, können wir die demokratische Zukunft unserer Stadtgesellschaft sicherstellen.
Bei allen Beteiligten möchten wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bedanken. Und allen Interessierten und Teilnehmenden wünschen wir viele spannende Veranstaltungen, anregende Diskussionen und inspirierende Begegnungen.
Integrationsbeirat der Stadt Regensburg