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Kumpfmühl: Archäologie offenbart neue Erkenntnisse zur Stadtgeschichte

Bevor in Regensburg gebaut wird, sind oft Archäologen vor Ort und werden häufig auch fündig. Denn die Stadt gründet auf geschichtsträchtigem Boden. Das gilt genauso für Kumpfmühl, wo Funde auf dem Grundstück des ehemaligen Schmauskellers Anlass dazu geben, die Geschichte des Stadtteils teilweise neu zu schreiben.

Fotografie: Baugrube
Unter anderem vier historische Gräber wurden im Zuge der archäologischen Ausgrabungen auf dem Areal des ehemaligen Schmauskellers in Kumpfmühl gefunden. © Gerhard Meixner, Fa. ARCTEAM

20. Januar 2023

Dr. Johannes Sebrich ist Archäologe im städtischen Amt für Archiv und Denkmalpflege und hat die Grabungen wissenschaftlich begleitet. Die Gräberfunde, die dort gemacht wurden, ließen auch ihn staunen, nahm man doch bislang an, dass sich die Römer nach der Zerstörung ihres Kastells in den Markomannenkriegen (ca. 170 nach Christus) vollständig aus Kumpfmühl zurückgezogen hatten. Schließlich hatte Kaiser Marc Aurel mit dem unmittelbar an der Donau gelegenen und deutlich größeren Legionslager Castra Regina eine weitaus sicherere Heimstatt für rund 6.000 Elite-Soldaten und mindestens ebenso viele Zivilisten anlegen lassen.

Vier Körpergräber aus spätrömischer Zeit

„Wir sind bisher davon ausgegangen, dass es nach 170 nach Christus keine größere römische Besiedlung mehr in Kumpfmühl gegeben hat“, erklärt Sebrich. Auch die Funde, die die Archäologen zunächst auf ihrer Ausgrabung an der Simmernstraße tätigten, widerlegten diese These nicht. Man stieß auf Öfen, Erdkeller und weitere aufschlussreiche Siedlungsspuren aus der Zeit zwischen 80 und 170 nach Christus, die beim Tunnelvortrieb für den Bau der Bierkeller unversehrt geblieben waren. Buchstäblich in letzter Minute – die schweren Baumaschinen waren bereits angerückt – entdeckte man neben Resten einer vorgeschichtlichen Siedlung aus der späten Bronzezeit (1300 bis 800 vor Christus) vier Einzelgräber, sogenannte Körpergräber.

Weil bis etwa 250 nach Christus die Römer ihre Verstorbenen ausschließlich kremierten und in Brandgräbern bestatteten, lag der Schluss nahe, die Grabstätten auf die Zeit danach zu datieren, in eine Zeit also, in der in Kumpfmühl bis dato noch keinerlei römische Spuren belegt waren. Umdenken war demnach angesagt. „Wir müssen jetzt davon ausgehen, dass es dort eine spätantike Siedlung gegeben hat, von der wir bisher überhaupt nichts wussten“, berichtet Sebrich begeistert.

Das aufwändigste der vier Gräber, ein sogenanntes Ziegelplattengrab, das mit sechs Lagen von Tonziegeln abgedeckt war, wies neben einem gut erhaltenen und in einem Sarg bestatteten Skelett auch mehrere Grabbeigaben auf: zwei Glasgefäße, eines so dünn, dass es nicht rekonstruiert werden konnte, einen bronzenen Ohrlöffel, ein kosmetisches Instrument, mit dem Salböl einem Gefäß entnommen werden konnte, sowie zwei Strigiles, sogenannte Schabeisen aus Bronze. Als Grabbeigabe durchaus eine Besonderheit, die die Fachwelt aufhorchen lässt!

Kosmetikartikel als Grabbeigaben

Strigiles gab es bereits im antiken Griechenland. Mosaiken und Gefäßmalereien belegen, dass sich damals und natürlich auch später im alten Rom vor allem Athleten vor dem Wettkampf mit Öl einrieben und anschließend Staub, Öl und Schweiß mit diesen Schabeisen wieder entfernten. Später dann wurden die sichelförmigen Bronzeinstrumente auch gerne zur Körperpflege verwendet, um nach einem heißen Dampfbad eine Mischung aus feinem Sand und wohlriechendem Öl abzuschaben und so die Haut zu glätten. Ein antikes Körperpeeling also!

Dass es sich bei dem Skelett im Schmauskellergrab nicht um einen römischen Athleten, sondern um eine vermutlich wohlhabende Dame gehobenen Alters handelt, die sozusagen gemeinsam mit ihrem Kosmetikköfferchen bestattet wurde, ergaben weitere Untersuchungen. In unmittelbarer Nähe fand sich die Grabstätte einer weiteren älteren Frau, möglicherweise eine Verwandte oder eine andere nahestehende Person. Mehrere Glasperlen legen nahe, dass man sie mit ihrem Halsschmuck beerdigt hat. Ein weiteres Grab wies keine Beigaben auf, seine Nähe zu den beiden anderen deutet aber darauf hin, dass auch hier eine direkte Beziehung bestand. Alle drei Gräber könnten aufgrund dieser unterschiedlichen Belege eindeutig der späten römischen Kaiserzeit zugeordnet werden, also dem späten 3. oder 4. Jahrhundert nach Christus, so Sebrich.

Von einer Muskete niedergestreckt?

So lag es also auf der Hand, auch das vierte Grab, das man etwa zwölf Meter entfernt fand, in diese Zeit zu datieren. Was die Archäologen allerdings stutzen ließ, war eine Bleikugel mit etwa 17 Millimetern Durchmesser, die man im Beckenbereich des gut erhaltenen Skeletts entdeckte. Auch ein Gewandhaken aus Metall im Brustbereich passte nicht zu einer spätrömischen Herkunft.

„Mit solchen Bleikugeln wurden im Dreißigjährigen Krieg die Musketen bestückt“, erklärt Sebrich. „Wir gehen also davon aus, dass der Tote viel später dort bestattet wurde.“ Zwei Piken, Stangenwaffen von Fußsoldaten, die aus dieser Zeit stammen und die im Jahr 2019 an der Augsburger Straße gefunden wurden, lassen auf kriegerische Aktivitäten in diesem Bereich schließen. Außerdem belegt eine zeitgenössische Karte den Standort eines Feldlagers der kaiserlichen Truppen, die 1634 die Stadt belagerten und schließlich einnahmen, im heutigen Stadtteil Kumpfmühl. „Wir wissen, dass der Tote männlich war und zwischen 20 und 25 Jahre alt“, erläutert Sebrich. „Aus der Lage der Kugel können wir schließen, dass er vielleicht an einem Bauchschuss starb. Möglicherweise ist er verblutet oder er starb an einer Infektion. Aber der letzte Beweis für diese These fehlt noch. Und genauso wenig wissen wir, wer er war und weshalb er direkt neben der Straße beerdigt wurde. Es bleibt also wirklich spannend!“

Text: Dagmar Obermeier-Kundel