Navigation und Service

„Viele Kinder sind hungrig nach männlichen Vorbildern“

Männliche Erzieher sind noch immer eine Seltenheit. Marvin Materna, der den Kinderhort Lessingstraße leitet, hat seinen Beruf bewusst gewählt und auf mehr Gehalt und den Status als Akademiker verzichtet. Was er im Gegenzug dafür bekommt, ist viel mehr wert, denn die Kinder spiegeln seine Begeisterung für den Job wider.

Marvin Materna ist mit Leidenschaft bei seinem Job.
Marvin Materna ist mit Leidenschaft bei seinem Job. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

10. März 2020

Abenteuer! Der Fluss, der überquert werden muss, ist voll giftiger Säure, die jeden verätzt, der mit dem Wasser in Berührung kommt. Die einzige Möglichkeit, sicher ans andere Ufer zu gelangen, sind kleine schwimmende Inseln, die aber immer wieder weitergereicht werden müssen, um die Distanz zu überwinden. Einer allein hat keine Chance, gefahrlos ans Ziel zu gelangen. Aber vielleicht, wenn alle zusammenhelfen?

Das Gemeinschaftsgefühl stärken, Außenseiter integrieren, Kreativität wecken – all das sind die Ziele, die Marvin Materna und seine Kolleginnen und Kollegen mit Spielen wie diesen verfolgen. So können starke Kinder die schwächeren stützen und dabei erkennen, dass Teamplayer oft schneller und vielleicht auch spielerischer zum Ziel gelangen als Einzelkämpfer.

Kinder sind der „tägliche Spiegel“

Für Materna ist diese Erkenntnis wegweisend gewesen. Vielleicht hat sie auch seine Berufswahl beeinflusst. Schließlich wollte er ursprünglich Elektrotechnik studieren. Aber die Erfahrungen aus seinem Engagement als Jugendgruppenleiter bei der evangelischen Kirche und eine erlebnispädagogische Ausbildung nach dem Abitur ließen in ihm den Wunsch reifen, das Hobby zum Beruf zu machen. „Damals habe ich viele Menschen kennengelernt, die in ihren Jobs erfolgreich waren, aber irgendwann nach einer anderen Orientierung gesucht haben“, erklärt er. „Da hab ich mir gedacht, dann mach ich doch lieber gleich das, was mir wirklich Spaß bereitet, auch wenn ich mit weniger Geld auskommen muss.“

Bereut hat der junge Familienvater seinen Entschluss nie. „Ich liebe meinen Beruf, weil ich da meine Interessen wirklich einbringen kann und vor allem, weil die Kinder so viel Begeisterungsfähigkeit mitbringen“, unterstreicht er. Die Grundschulkinder, die zu ihm in den Hort Lessingstraße kommen, bezeichnet er als seinen „täglichen Spiegel“. Wer mit Freude und Zuneigung auf die Kleinen zugehe, der bekomme diese Gefühle zurückgespiegelt. „Das überträgt sich und dadurch lernt man sich selbst wirklich gut kennen.“

Männerquote steigt

Dass inzwischen deutlich mehr Männer als noch vor zehn Jahren den Erzieherberuf ergreifen, begrüßt Materna ausdrücklich. „Während meiner Ausbildung kamen auf 100 Schülerinnen und Schüler grade mal sechs Männer“, erzählt er. (Zum Vergleich: Bei der Stadt Regensburg sind mittlerweile 20 Erzieher, sieben Kinderpfleger und insgesamt vier männliche Auszubildende beschäftigt.) Wichtig sei das deshalb, weil alle Kinder, Mädchen und Jungen, auch eine männliche Bezugsperson benötigen. Gerade wenn Mütter ihre Kinder alleine betreuen, fehle oft eine Identifikationsfigur des anderen Geschlechts. „Viele Kinder sind richtig hungrig nach männlichen Vorbildern.“ Deshalb setzt Materna auf gemischte Teams: „Denn das tut nicht nur den Kindern gut, sondern auch dem Team selbst.“

Bei der Betreuung der Kinder schreibt Materna Mitbestimmung groß. Das offene Konzept, das im Hort Lessingstraße praktiziert wird, hat zum einen den Vorteil, dass sich alle Kinder kennen und selbst entscheiden können, welche Angebote sie wahrnehmen oder welche Ideen sie verwirklichen möchten. Zum anderen können so auch Ausfälle beim Personal besser abgefedert werden.

Mitbestimmung der Kinder

Marvin Materna nimmt die Kinder dabei immer ernst. Soll beispielsweise eine neue Kuschelecke eingerichtet werden, macht er transparent, wie viel Geld dafür zur Verfügung steht. Schon die Jüngsten merken dann, dass ihrer Kreativität natürliche Grenzen gesetzt sind und respektieren diese auch. Nur dann, wenn der Einrichtungsleiter spürt, dass einzelne Kinder ausgegrenzt werden, greift er ein. „Wenn es um die Gruppendynamik geht, ist schon Fingerspitzengefühl gefragt“, merkt er an. Spiele, wie die eingangs beschriebene Überquerung des Säureflusses, tragen dazu bei, Einzelgänger zu integrieren und die Empathiefähigkeit innerhalb der Gruppe zu stärken. „Oft werden Kinder zu Außenseitern, die früh abgeholt werden und wenig Zeit haben, mit den anderen zu spielen“, sagt Materna. „Die muss man dann in die Gruppe holen.“

Denn Spielen ist nur ein Teil der Hortbetreuung, so wichtig er auch sein mag. Schließlich müssen auch die Hausaufgaben erledigt werden, was beim einen rasch geht und beim anderen viel Zeit benötigt. Deshalb setzt Materna den Kindern einen Rahmen, innerhalb dessen sie selbst entscheiden können, ob sie sich beispielsweise gleich nach Schulschluss hinsetzen und die Aufgaben erledigen, oder ob sie zunächst noch ein bisschen Freiraum brauchen, bis sie sich ans Werk machen.

Wenn es um die Gruppendynamik geht, ist viel Fingerspitzengefühl gefragt.
Wenn es um die Gruppendynamik geht, ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

Spagat zwischen Pflicht und Kür

Den Spagat zwischen Pflicht und Kür haben übrigens nicht nur die Kinder zu bewältigen. Auch Marvin Materna muss seine pädagogischen Aufgaben und seine Leitungsfunktion unter einen Hut bringen. Da müssen beispielsweise Personalgespräche geführt, Spiel- und Bastelmaterialien bestellt, Verträge mit den Eltern geschlossen, die Finanzen überprüft oder Buchungszeiten aktualisiert werden. Mehrere Stunden gehen dafür pro Tag drauf. Aber auch das will alles erledigt sein, damit der Betrieb laufen kann.

Im neuen Kinderhort an der Lessingstraße haben zunächst einmal 40 Kinder Aufnahme gefunden. Nach und nach wird er auf 75 Plätze für Grundschülerinnen und Grundschüler, aus der neuen Kreuzschule aufgestockt werden. Dass es dort sogar eine Kletterwand gibt, findet Materna toll, und das nicht nur, weil er selbst leidenschaftlich gerne im alpinen Bereich klettert. „Bewegung ist eine ungemein wichtige Ressource“, betont er. „Wenn man als Kind lernt, sich viel zu bewegen, dann profitiert man davon sein ganzes Leben.“

Text: Dagmar Obermeier-Kundel