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Stadtteilspaziergang Königswiesen-Nord: Das Klein-Manhattan von Regensburg

Als Ende der 1960er-Jahre in kurzer Zeit mächtige Wohntürme auf dem Königswiesener Berg hochgezogen wurden, rieben sich die Regensburgerinnen und Regensburger verwundert die Augen. Heute ist die Hochhaussiedlung eines der Wahrzeichen der Stadt.

Fotografie: Panorama von Hochhäusern in Königswiesen-Nord
„Klein-Manhattan“ nennen die Regensburger die Hochhäuser, die auf dem Königswiesener Berg thronen. © Dagmar Obermeier-Kundel

25. August 2023

32 Jahre lang hat Stadtplaner und Architekt Joachim Buck im Planungs- und Baureferat der Stadt gearbeitet und damit auch viele städtebauliche Projekte begleitet. Die Entwicklung des Stadtteils Königswiesen findet der heute 73-Jährige, der seit 2002 auch als Gästeführer tätig ist, besonders spannend, weil in einem relativ kurzen zeitlichen Abstand von nur etwa zehn Jahren direkt nebeneinander zwei völlig gegensätzliche Konzepte umgesetzt worden seien. Königswiesen-Süd auf der einen Seite, das als Wohnquartier Bezug auf Bauweisen um 1900 nimmt, direkt an die in den 1930er-Jahren errichtete Ganghofersiedlung anknüpft und eher niedrige Wohnblocks und Einfamilienhäuser um begrünte Straßenräume gruppiert, und andererseits Königswiesen-Nord mit seinen mächtigen bis zu zwölf Geschossen hohen Hochhäusern, von den Regensburgern halb spöttisch, halb liebevoll „Klein-Manhattan“ genannt.

Fotografie: Joachim Buck präsentiert ein Luftbild des Stadtteils aus 2013.
Joachim Buck war 32 Jahre lang als Stadtplaner bei der Stadt Regensburg tätig. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

Gutshof, Tongrube und Grüne Lunge

Unser von Buck fachkundig begleiteter Spaziergang beginnt im Königswiesener Park, einer Grünfläche, die ehemals zum Gutshof Königswiesen gehört hat. Der Name weist darauf hin, dass im Mittelalter die dortigen Fluren von den Baiernherzögen an das fränkische Königshaus übergegangen waren. 1224 wurde der Herrensitz vom Kloster Prüfening übernommen, das den Regensburger Hafnern und Töpfern die Rechte übertrug, dort nach Ton zu schürfen. Erst 1663 erwarb die Stadt Regensburg den gesamten Grundbesitz.

Der sich an den Hang des Königswiesener Bergs –  bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hieß er schlicht Königsberg – schmiegende Park öffnet sich unversehens auf halber Höhe. Dort stößt man auf die ersten Wohnhäuser der Siedlung Königswiesen Nord, die sich auf rund 50 Hektar auf der Kuppe des Berges ausbreitet.

Damals, Ende der 1960er-Jahre, erzählt Buck, habe man – ganz ähnlich wie heute – in kurzer Zeit viel Wohnraum schaffen müssen. Grund dafür waren zwei Ereignisse, die zeitlich zusammenfielen. Zum einen die Gründung der Universität, in deren Gefolge nicht nur Professoren und ihre Familien, sondern auch der gesamte akademische Mittelbau und die Verwaltungsmitarbeiter nach Regensburg kamen. Zum anderen aber auch die Sanierung der Altstadt, die zwar den teilweise unzumutbaren Wohnverhältnissen ein Ende setzte, gleichzeitig aber auch den Bedarf nach finanzierbaren Wohnungen weiter verstärkte, denn viele Menschen konnten sich den sanierten Wohnraum in der Altstadt schlicht nicht mehr leisten.

Städtebaulicher Spagat

Mit dem Projekt Königswiesen-Nord wollten die Stadtplaner der damaligen Zeit ein Stadtviertel schaffen, das allen Ansprüchen gerecht wurde. Mit der Neuen Heimat, einem gemeinnützigen Bau- und Wohnungsunternehmen, fand man eine Partnerin, die schnell eine große Menge an sozial geförderten Wohnungen auf die Beine stellen konnte.

Die städtebaulichen Grund-Ideen, so Buck, die in diesem Quartier umgesetzt wurden, lassen sich mit zwei Begriffen charakterisieren: „Stadtkrone“ und „Gegliederte und aufgelockerte Stadt“. Beide entstammen den Städtebau-Theorien aus den 1920er- sowie 1950er-Jahren. Die „Stadtkrone“ fußt auf der Überlegung, dass Ansiedlungen Bezug auf das Terrain nehmen sollten, auf dem sie errichtet werden. Mittelalterlichen Geschlechtertürmen ähnlich sollten demnach die Hochhäuser auf dem Gipfel positioniert werden, um den landschaftlichen Effekt eines Berges weiter zu verstärken. Auf diese Weise wollte man die ursprüngliche Geländeform baulich verstärken. Die „gegliederte und aufgelockerte Stadt“ wandte sich von der straßenraumbildenden Blockbildung ab – zugunsten frei in Grünflächen platzierten solitären Baukörpern, in denen die Wohnungsgrundrisse überwiegend nach Süden bzw. Westen orientiert wurden. Beide städtebaulichen Ideen lassen sich an Königswiesen idealtypisch ablesen. Dass in solch mächtigen Hochhäusern viele Menschen sehr komfortable Wohnungen fanden, war das eigentliche Ziel dieser beiden städtebaulichen Grund-Ideen. 

Ghetto oder Wohnoase?

Für jede Wohnung ein nach Westen oder Süden ausgerichteter Balkon, großzügige begrünte Freiflächen mit Spielplätzen und Rodelhügel, ein Forum mit Brunnen und das Ganze erschlossen durch eine begrünte Ringstraße, die neben quartierseigenen Garagen auch ausreichend Parkplätze am Straßenrand bot, komplettierten das Ensemble. Der Geländeform entsprechend wurden jenseits der Ringstraße niedrigere Wohnhäuser gruppiert, um die sich ein weiterer Kranz von Einfamilien- und Reihenhäusern zieht. Der Park, die neu errichtete Kirche St. Paul mit Gemeindezentrum und Kindergarten sowie ein ebenfalls neu gebautes kleines Einkaufszentrum und dazu noch eine Schrebergartenkolonie in unmittelbarer Nähe boten die notwendige Infrastruktur für rund 2.500 Menschen, die dort ein neues Zuhause fanden.

Ein an sich stimmiges Konzept also, das durch die Ballung von gefördertem Wohnraum aber bald sozialen Sprengstoff in sich barg. „Man sieht hier gut, dass man schnell von einer durchaus durchdachten städtebaulichen Gestaltung zur Sozialgeschichte kommt“, sagt Buck. Das Etikett der „Ghettoisierung“ werde schnell angeheftet. Los werde man es allerdings nur sehr schwer wieder.

Heute sind die meisten Häuser in Königswiesen-Nord frisch saniert. Der Ausblick aus den oberen Stockwerken der Hochhäuser über die Stadt hinweg muss fantastisch sein. Am Fuße des Bergs ist nun ein weiterer mächtiger Komplex entstanden, das sogenannte Königstor. „Aus städteplanerischer Sicht ist das Gebäude hier unten zu groß. Eigentlich müsste sich Neues maßstäblich in das Vorhandene einfügen. Aber die vielen Wohnungen werden eben gebraucht“, meint Buck und beschreibt damit den Widerstreit von Ästhetik, Funktionalität und geltendem Recht, dem jeder Stadtplaner tagtäglich die Stirn bieten muss.

Text: Dagmar Obermeier-Kundel