Navigation und Service

Er ist das Gedächtnis des Historischen Museums

Seit 33 Jahren verwaltet Michael Preischl das Depot Mittelalter und Neuzeit im Historischen Museum. In dieser langen Zeit sind viele Objekte durch seine Hände gegangen, die er dokumentiert und fotografiert hat. Er kennt ihre Geschichte und jedes einzelne Stück ist ihm ans Herz gewachsen.

Fotografie: Michael Preischl präsentiert eine Schandmaske um 1620, die im Depot aufbewahrt wird.
Michael Preischl präsentiert eine Schandmaske um 1620, die im Depot aufbewahrt wird. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

16. August 2023

Als Seiteneinsteiger kann er keine klassische Verwaltungslaufbahn aufweisen, die ihm bei seinem Job zugutekommen könnte – seine Ausbildung und seine Berufserfahrung als Kirchenmaler tun das wohl. Er kennt die Techniken, die über die Jahrhunderte hinweg gleichgeblieben sind, weiß um die rund 20 Arbeitsgänge, die beim Vergolden notwendig sind, um aus einem blanken Stück Holz ein glänzendes Kunstwerk zu machen. Das Spezialwissen um Stuck, Fassmalerei und Vergoldungen ist ihm immer noch vertraut. Aber: „Als Kirchenmaler lebt man aus dem Koffer“, erklärt der 61-Jährige. „Mit einer Familie ist das nur schwer zu vereinbaren.“ Deshalb bewarb er sich bei der Stadt Regensburg, kümmerte sich dort drei Jahre lang um das archäologische Depot und wechselte schließlich 1993 in die Abteilung Mittelalter und Neuzeit, dem jetzigen Sachgebiet Kunst- und Kulturgeschichte.

Handwerkliches Geschick von Nutzen

Sein handwerkliches Geschick und seinen Blick fürs Wesentliche konnte er auch hier einsetzen. Er spezialisierte sich auf die Fotografie von Museumsobjekten. Unzählige Stücke, deren Fotos sich heute in Ausstellungskatalogen oder wissenschaftlichen Abhandlungen befinden, hat er arrangiert, ausgeleuchtet und im Bild festgehalten. Die anschließende Nachbearbeitung zählt ebenso zu seinen Aufgaben wie die Archivierung der digitalen Fotos, die zugleich ein zentrales Element der Bestandsdokumentation darstellen.

Tagtäglich landen Anfragen auf dem Schreibtisch von Preischl. Wenn die Datenbankabfrage nicht ausreicht, gilt es die verschiedenen Objekte im Depot zu suchen, um die zugehörigen Informationen bereitzustellen. Das Museumsgut ist derzeit – genauer gesagt, bis zum Umzug in das Zentraldepot in Burgweinting – noch über etliche Standorte verteilt. Fehlen digitale Fotos, müssen neue Aufnahmen und hochwertige Scans angefertigt werden. Insbesondere dann, wenn Sonderausstellungen vorbereitet werden, andere städtische Dienststellen historisches Bildmaterial anfragen oder Unterstützung für individuelle Forschungsvorhaben benötigt wird, muss er tief ins Depot eintauchen und die geeigneten Objekte zusammenstellen.

Museumsarbeit ist Teamarbeit

Aber das ist nur der eine Teil seiner Aufgaben. Das Museum verfügt über einen jährlichen sogenannten Erwerbungsetat, mit dem Ankäufe getätigt werden. Außerdem finden immer wieder Objekte aus Schenkungen Eingang in den Bestand. Jedes Stück durchläuft mehrere Stationen, wobei die einzelnen Schritte ineinandergreifen – Museumsarbeit ist immer auch Teamarbeit und Preischl hat eine Schnittstellenfunktion inne. Sobald der Neuzugang von der Restauratorin begutachtet und erstversorgt wurde, gibt er ihn an eine der Inventarisatorinnen weiter. Von dieser erhält der Gegenstand zunächst eine Inventarnummer im Inventarbuch, dann einen ausführlichen Eintrag in der Museumsdatenbank mit den grundlegenden Objektdaten, einer individuellen Beschreibung und allen wichtigen Informationen.

Die handschriftlichen Einträge im Inventarbuch, das neben schriftlichen Verträgen und Ankaufsunterlagen als Eigentumsnachweis dient, entsprechen noch der früheren Vorgehensweise, wie schon zu Preischls Anfangszeit im Museum. Seitdem hat sich viel geändert. Dass die Inventarisierung heute zusätzlich mit Computer und Kamera erfolgt, dazu seit ein paar Jahren auch mit einem Strichcode, der gewährleisten soll, dass die zugehörigen Informationen schnell und sicher zugeordnet werden können, erleichtert nicht nur die spätere Standortsuche, sondern auch die Recherche zu den Objekten im Allgemeinen.

Die Vervollständigung der Datensätze durch die fotografische Dokumentation und den Standorteintrag übernimmt wieder Preischl. Bevor der Neuzugang dann ins Depot wandert und an einem ganz speziellen Platz abgelegt wird, noch eine letzte Prüfung: Passt das Foto wirklich zur Objektbeschreibung?

Fotografie: Mit Hilfe eines speziellen Betrachtungsgerätes können Stereo-Aufnahmen dreidimensional wahrgenommen werden.
Mit Hilfe eines speziellen Betrachtungsgerätes können Stereo-Aufnahmen dreidimensional wahrgenommen werden. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

Dokumentation keine einfache Aufgabe

Es sind nicht wenige Stücke, die so alljährlich in den Besitz der städtischen Museen gelangen. „Innerhalb von wenigen Jahren haben wir einmal rund 1.600 Gemälde und Grafiken aus verschiedenen Künstlernachlässen sowie etwa 4.000 Einzelobjekte eines Sammlers bekommen“, erklärt Preischl. Die Dokumentation ist dabei keine einfache Aufgabe und braucht Zeit. „Schließlich muss man das alles ja wiederfinden.“ Wie wichtig dies ist, zeige die Tatsache, dass auch etliche Stücke im Depot lagern, die kaum mehr exakt zugeordnet werden können: Denn angesichts von zehntausenden von Objekten konnte es über die Jahre vorkommen, dass es für eine grundlegende Dokumentation an Zeit und Personal mangelte. Das bedeutet für Preischl und seinen beiden inventarisierenden Kolleginnen allerdings, dass beim sogenannten Altbestand noch viel nachgearbeitet werden muss, um Lücken in der Erfassung zu schließen.

Dass er all die Objekte, die im Depot eingelagert sind, über so viele Jahre begleitet hat, kommt ihm häufig zugute. „Er ist das Gedächtnis des Hauses“, unterstreicht eine Kollegin. „Das ist wirklich Gold wert.“ Denn es ist nicht ganz einfach, sich unter den unzähligen Museumsstücken zurecht zu finden. Gerade hier kommt er mit seinen über drei Jahrzehnten Museumserfahrung als „analoger Wissensspeicher“ ins Spiel und konnte auf diese Weise schon manches Rätsel auflösen.

„Eigentlich ist die Sammlung eher ein Sammelsurium“, fasst Preischl knapp die Vielfältigkeit des umfangreichen Fundus zusammen. Ob Textilien aus unterschiedlichen Jahrhunderten, Zeichnungen und Druckgrafik, Fotografien, Gemälde, Modelle, Münzen und Medaillen, Porzellan, Zinn, Möbel, Alltagsgegenstände, Waffen, aber auch Architekturteile wie Säulen oder Kapitelle, alles aufzuzählen gelingt nicht – das verbindende Element ist fast immer der Bezug zu Regensburg und zur Region. „Damit decken wir ein breites Spektrum der Kulturgeschichte der Stadt bzw. Reichsstadt Regensburg, teilweise auch der Region Ostbayern ab.“

Besondere Raritäten im Depot

Wer tiefer ins Depot eintaucht, der findet wirkliche Raritäten. Ein Foto aus dem Jahr 1866 beispielsweise, das die Königliche Villa zeigt und daneben aufgereiht 85 Lokomotiven, die die geflüchtete Königin von Sachsen während der Okkupation ihres Landes nach Bayern gerettet hatte. Oder eine Stereoaufnahme, die um 1870 herum entstanden ist, und den chinesischen Turm in Donaustauf in einer frühen 3D-Darstellung zeigt.

Diejenigen, die an Makabrem Gefallen finden, könnten vielleicht die Daumenschrauben oder die Schandmaske aus dem 17. Jahrhundert interessieren, die Preischl präsentiert. Auch Richtschwerter, einen gebrochenen Stab oder auch Hals-Geigen kann das Depot aufweisen. Dies alles fand einst mutmaßlich auf dem Rathausplatz seine Verwendung, wo Übeltäter am Pranger zur Schau gestellt oder in der Fragstatt im Rathaus einer hochnotpeinlichen Befragung unterzogen wurden. Dass Preischls Liebe der umfangreichen Militaria-Sammlung gilt, kann er nur schwer verhehlen. Wenn es um Armbrüste, Kanonen, Hellebarden, Gewehre oder Pistolen geht, dann wird der Oberstabsfeldwebel der Reserve und begeisterte Sportschütze auch von Fachleuten gerne um Rat gefragt und kann seine Kenntnisse ausspielen.

Aber auch die anderen Objekte im Depot sind ihm über die Jahre und Jahrzehnte ans Herz gewachsen. Dass er seine Arbeit liebt, merkt man ihm an: „Mich interessieren die Objekte und deren Herkunft und ich verbinde auch jedes Objekt mit seiner ganz speziellen Geschichte“, betont er. „Ich lebe für die Sache und identifiziere mich damit.“

Text: Dagmar Obermeier-Kundel