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Auf den Spuren der geraubten Kunst

Der Historiker Dr. Roman Smolorz forscht seit mehr als zwanzig Jahren zu den Themen Nationalsozialismus und Realsozialismus. Seit Dezember 2021 ist er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Provenienzforschung bei den Museen der Stadt Regensburg beschäftigt.

Fotografie: Dr. Roman Smolorz sitzt vor Recherchedokumenten.

21. Juli 2022

„Wenn ich irgendwo in Deutschland oder im Ausland in einem Archiv recherchiere, gebe ich immer auch einmal ‚Regensburg‘ als Suchwort in die Datenbank ein und schaue, welche Ergebnisse kommen“, sagt Roman Smolorz. Meistens war die Suche bisher erfolgreich – irgendeine Verknüpfung zu seiner Wahlheimatstadt hat sich in fast jedem der unzähligen Archive gefunden, in denen der Historiker in seiner langjährigen Laufbahn unterwegs gewesen ist. Regensburg ist seit 1993 ein Fixpunkt in seinem Leben. In Beuthen in Oberschlesien geboren, kam der heute 55-Jährige 1989 nach Bayern. Nach Stationen in Deggendorf, Nürnberg und Schweinfurt begann er 1993 sein Studium der Geschichte, Rechtsgeschichte und Westslawischen Sprachwissenschaft an der Universität Regensburg. Im Anschluss an die Promotion über den Bergbau im Stalinismus forschte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Stadtarchivs zum Thema Zwangsarbeit in Regensburg während des Nationalsozialismus. „Das war damals ein befristetes Projekt, an dessen Ende eine Buchveröffentlichung stand“, erklärt er. „Danach musste ich woanders mein Glück suchen.“ Nun ist die Stelle, die Smolorz seit dem 1. Dezember 2021 bei den städtischen Museen innehat, eine dauerhafte. Denn die Provenienzforschung gehört zu den Kernaufgaben musealer Arbeit. Smolorz‘ Aufgabe ist es, in den Sammlungen der Museen sogenannte Beute- und Raubkunst zu ermitteln – also Objekte, die in der Zeit des Kolonialismus, des Nationalsozialismus und der DDR unrechtmäßig ihren Eigentümern entzogen worden sind. Außerdem ist der Provenienzforscher immer dann gefragt, wenn die Museen beabsichtigen, etwas für die Sammlung anzukaufen, was belastet sein könnte. Hier unterstützt er die Museumsleitung im Vorfeld bei der Recherche.

Der Herkunft auf den Grund gehen

Ein Hilfsmittel dabei ist die sogenannte Lost-Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. Museen haben die Möglichkeit, verdächtige Objekte aus ihren Beständen hier einzustellen und somit weltweit zu veröffentlichen. „Allerdings können sie das nicht mit jedem Objekt machen, das zwischen 1933 und 1945 angeschafft worden ist – da würde die Datenbank überquellen. Wir müssen deshalb für jeden einzelnen Fall zunächst einmal klären, ob es einen begründeten Verdacht gibt, dass es sich um Beute- oder Raubkunst handelt oder nicht“, erklärt Smolorz. Wichtige Hinweise finden sich im Inventarbuch des Museums, in dem die Neuerwerbungen seit 1928 verzeichnet werden. Zur Interpretation braucht es jedoch einiges an Hintergrundwissen. „Wenn es zum Beispiel 1933 in einem Eintrag heißt: ‚Finanzamt bietet Kunstobjekt an‘, ist es so gut wie sicher, dass das Objekt Juden gehört hat, die es vor der Deportation zurücklassen mussten. Denn die Beschlagnahme dieser Gegenstände lief als sogenannte ‚Aktion III‘ über die Finanzämter“, erklärt Smolorz. Auch die Information, durch wessen Hände ein Bild oder eine Skulptur im Laufe ihres Lebens gegangen ist, kann aufschlussreich sein. „In München gab es zum Beispiel eine bestimmte Kunsthandlung, die viel mit jüdischen Objekten gehandelt hat. Wenn dieser Händler in unseren Listen auftaucht, schauen wir genau hin und versuchen, den Weg des jeweiligen Objektes zurückzuverfolgen.“ Ähnliches gilt für die Firmen, die die Staatssicherheit der DDR einst in der Bundesrepublik Deutschland gegründet hatte, um Kunstwerke, die im Zuge von Ausreisen mit Genehmigung oder von Ausbürgerungen nach gelungener Flucht eingezogen worden waren, scheinbar legal weiterverkaufen zu können. „Diese Firmen saßen mitten in Westdeutschland und hatten auf den ersten Blick nichts mit der entzogenen Kunst in der DDR zu tun“, so Smolorz.

Collage: Vier Damenschirme
Die rechtmäßigen Eigentümer dieser Damenschirme, die die Museen 1942 erworben hatten, ließen sich auch durch intensivstes Studium in den Quellen nicht ermitteln. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

Eigentümer sind oft schwer zu ermitteln

Ist ein Objekt als Beute- oder Raubkunst identifiziert, versucht der Provenienzforscher den rechtmäßigen Eigentümer zu ermitteln. Die Lost-Art-Datenbank ist hier ein wichtiges Hilfsmittel, aber auch die Recherche in den Archiven kann Hinweise geben – vorausgesetzt, man weiß, wo die benötigten Informationen möglicherweise zu finden sein könnten. „Ein Verwaltungsvorgang schlägt sich regelrecht in mehreren Ämtern nieder und wird entsprechend später in unterschiedlichen Archiven aufbewahrt – hier ein Beispiel: Wenn es um Personen geht, ist es wichtig zu ermitteln, welcher Konfession sie angehört haben: Informationen zu Katholiken findet man etwa im Bischöflichen Zentralarchiv in Regensburg, zu Protestanten dagegen im Zentralen Landeskirchlichen Archiv in Nürnberg.“ Manchmal stoße die Wissenschaft aber auch an ihre Grenzen. So etwa bei einer Reihe von Damenschirmen, die die Museen der Stadt Regensburg 1942 erworben hatten und bei denen es sich nachgewiesenermaßen um nationalsozialistisches Raubgut handelt. „Wir wissen aufgrund der Zuständigkeit des Finanzamtes, dass die Eigentümer in Regensburg oder in der Regensburger Gegend gelebt haben und Opfer der Deportationen von 1942 geworden sind, aber wer sie waren, war auch durch intensivstes Quellenstudium nicht herauszufinden.“

Forschung in Archiven quer durch Europa

Roman Smolorz hat viel zum Nationalsozialismus und zum sogenannten real existierenden Sozialismus geforscht und veröffentlicht. Eines seiner zuletzt abgeschlossenen Projekte war das Buch „Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Regensburg“, das in Zusammenarbeit mit dem Historiker Rainer Ehm 2019 entstanden ist. Dann, bis 2020, war Smolorz an der Universität zu Köln tätig und von 2020 bis 2021 als wissenschaftlicher Leiter und stellvertretender Geschäftsführer der länderübergreifenden Point Alpha Stiftung im Thüringischen Geisa beschäftigt. Deren Kernaufgabe ist es, die Gedenkstätte Point Alpha zur Deutschen Teilung und zum Kalten Krieg in Europa zu unterhalten. „Historische Zäsuren, gerade zwischen dem Nationalsozialismus und dem Kalten Krieg, sind nur mühsam zu benennen, daher legt man sich gern auf den 8. Mai 1945 fest. Man muss sich gleichwohl vergegenwärtigen, wie sich das eine aus dem anderen entwickelt hat, welche Zusammenhänge es gibt, und wie die Prozesse weiterlaufen – das macht Geschichte aus.“

Ein Forschungsauftrag, auf den der Vater zweier Töchter besonders gerne zurückblickt, war die Zuarbeit für das Grundlagenwerk „Kontrolle und Beratung. Der deutsche Rechnungshof im Wechsel der politischen Systeme des 20. Jahrhunderts“. Der Bundesrechnungshof hatte das Projekt bei dem Kölner Professor Hans-Peter Ullmann in Auftrag gegeben, um seine Geschichte aufzuarbeiten. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Recherche war Smolorz zwei Jahre lang in zahlreichen Archiven in Deutschland, Europa und Übersee unterwegs. „Das war die spannendste Zeit meines Forscherlebens. Es passiert einem als Historiker ja nicht so oft, dass man in der einen Woche nach Warschau fliegen darf, in der nächsten nach London und danach nach Wien, Moskau oder Washington. Und wichtiger ist noch: Man kann zu einem einzigen Thema zwei Jahre lang recherchieren.“ Die Notwendigkeit einer solch sorgfältigen und umfassenden Recherche werde oft unterschätzt.

Parallel zu all seinen Aufträgen hat Smolorz immer auch als Lehrbeauftragter an der Uni Regensburg unterrichtet. Dieses Engagement wird er in Zukunft fortsetzen, dabei aber das Thema Provenienzforschung in der Lehre bewusst aussparen, „damit die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre gewahrt bleibt“, betont er.

Fotografie: Dr. Roman Smolorz zeigt eine Registraturnummer auf der Rückseite eines Gemäldes.Auf der Rückseite der Gemälde sind ihre Registraturnummern vermerkt. © Bilddokumentation Stadt Regensburg

Umzug der Registratur

Im Museum beschäftigt ihn momentan der bevorstehende Umzug in das neue Museumsdepot, das derzeit in Burgweinting gebaut wird. Neben den Sammlungen, für die die Kolleginnen und Kollegen aus der Archäologie und der Kunst- und Kulturgeschichte zuständig sind, muss auch die Museumsregistratur mit Inventarlisten, Korrespondenz und Erwerbungsakten gesichtet und verpackt werden. Schließlich handelt es sich um historische Quellen. Als im Archivwesen erfahrener Wissenschaftler sieht Smolorz in dieser Mammutaufgabe eine große Chance. „So ein Umzug kommt einmal in hundert Jahren vor. Er zwingt dazu, sich intensiv mit den Dingen auseinanderzusetzen, die man hat – das ist beim Umzug eines Museums nicht anders, als wenn man privat umzieht.“ Dabei wird der eigene Bestand automatisch einer Inventur bzw. einer Revision unterzogen. „Gerade für die Provenienzforschung ist das eine großartige Gelegenheit.“

Text: Katrin Butz