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Wo der Hund begraben liegt – Ein Besuch beim Stadtarchäologen

Er geht auf Spurensuche, ermittelt in unklaren Fällen, lässt Skelette ausbuddeln und zieht diejenigen zur Rechenschaft, die gegen geltendes Recht verstoßen. – Nein, Dr. Lutz Dallmeier ist nicht Kommissar bei der Kripo, er ist städtischer Archäologe und wacht über die Bodendenkmäler im Stadtgebiet.

Fotografie: Dr. Lutz Dallmeier mit einer Karte der römischen Villa Rustica in Burgweinting
Dr. Lutz Dallmeier mit einer Karte der römischen Villa Rustica in Burgweinting © Katharina Lenz

22. Juni 2022

Und derer gibt es unzählige in Regensburg. Für Archäologen stellt sich die Stadt wie eine riesige Schichttorte dar. Diese Schichten spiegeln die Besiedlungsgeschichte wider, die spätestens bei den Kelten beginnt und bis in unsere Zeit reicht. Die ersten Spuren, auf die man bei Grabungen gestoßen sei, würden ungefähr aus dem Jahr 500 vor Christus stammen, erzählt er. So habe man beispielsweise im Keller des Gebäudes Roter Herzfleck 2 verschiedene Keramiken, Haushaltsgegenstände und andere Siedlungsreste gefunden. Bei der Errichtung des heutigen Kaufhof-Gebäudes am Neupfarrplatz sei man zudem auf einen gut erhaltenen keltischen Glasarmreif gestoßen.

Austernschalen und Spulwürmer

Weil der germanische Stamm der Markomannen ihr Legionslager im heutigen Kumpfmühl dem Erdboden gleichgemacht hatte, sahen sich die Römer gezwungen, ein deutliches Zeichen ihrer Macht zu setzen, und errichteten um 179 vor Christus unmittelbar an der Donau ein bis dato einzigartiges Steinkastell: Castra Regina. Bei jeder Zerstörung, ob durch Brand oder feindliche Übergriffe, wurde der Boden einfach planiert. Darüber errichtete man neue Gebäude, so dass sich viele weitere Schichten übereinander lagerten. Darauf baute dann das Mittelalter. Vor allem Latrinen, also Versitzgruben, in denen damals jegliche Art von Abfall entsorgt wurde, liefern den Archäologen heute konkrete Aufschlüsse über das Leben in damaliger Zeit. Austernschalen, Schnecken, die Gräten seltener Seefische und Erdbeerkerne, die erhalten geblieben sind und unter dem Deggingerhaus gefunden wurden, spiegeln beispielsweise das luxuriöse Leben der Patrizier im 14. Jahrhundert wider. Aber auch die dunklen Zeiten treten zutage, wenn man bei Grabungen beispielsweise auf Spulwürmer oder Leberegel stößt, Skelette freilegt, die Spuren von Lepra aufweisen oder Pesttote findet.

Fotografie: Hundeskelett
Dieses Hundeskelett wurde in der Burgunderstraße gefunden. Der römische Haushund war regelrecht bestattet worden, und zwar gemeinsam mit seinem Futternapf. © Fa. Neupert, Kozic & Simm

Römischer Hund mit Futternapf

„Man muss bei den Grabungen schon eine Vorstellung davon haben, was man finden könnte, um mit dem richtigen Instrumentarium heranzugehen“, unterstreicht Dallmeier. Aber nicht immer entdecken die Archäologen dann auch das, womit sie ursprünglich gerechnet haben. Und das ist eben auch spannend an diesem Job! So stieß man im Zuge von Grabungen in der Hoppe- und der Burgunderstraße nicht nur auf die vermuteten römischen Siedlungsreste, sondern auch auf zwei Hunde, die dort feierlich bestattet worden waren – einer sogar gemeinsam mit seinem Fressnapf. Eine Besonderheit, denn in ganz Deutschland sind bislang insgesamt nur vier Hundebestattungen aus römischer Zeit dokumentiert.

Orientalische Golddukaten

Auch ein Schatzfund ließ die Fachwelt vor Kurzem aufhorchen. Im Zuge von Sondierungsgrabungen, die im Diözesanzentrum Obermünster durchgeführt wurden, förderten die Archäologen auf 47 Golddukaten aus der Barockzeit zutage, deren Prägung verrät, dass sie teilweise aus Venedig und sogar aus dem Orient stammen. „Mit diesem Fund haben wir überhaupt nicht gerechnet“, sagt Dallmeier. Er vermutet, eine der damals im Obermünsterkloster ansässigen Stiftsdamen habe ihr Vermögen vor den Plünderungen des 30-jährigen Krieges retten wollen und deshalb im Friedhof des Damenstifts vergraben, um sich anhand der Gräber besser orientieren zu können. Anscheinend hat sie die Kriegswirren aber nicht überlebt – der Schatz überdauerte die Jahrhunderte verborgen im Boden.

Auch ein bauliches Detail am Sockel des romanischen Campanile im Diözesanzentrum gibt den Archäologen Rätsel auf. Ob das wohl in späterer Zeit zugemauerte muschelförmige Fensterchen ursprünglich als Belüftungsanlage für eine unter dem heutigen Fußboden verborgene Krypta gedient hat? Und wenn es dort eine solche Krypta geben sollte, welche Geheimnisse birgt sie? Dallmeier muss seinen detektivischen Spürsinn leider zügeln. Denn es gibt keinen Grund, den Fußboden zu öffnen. Dies einfach aus Neugier zu tun, dagegen sprechen finanzielle Gründe, aber genauso auch Belange des Denkmalschutzes. Jeglicher Eingriff bringt nämlich auch unwiederbringliche Zerstörungen historischer Substanz mit sich.

Fotografie: Römerquader
In diesem römischen Quader befand sich die Zeitkapsel der Klarissinnen. © Rademacher

Barocke Zeitkapsel

Doch immer wieder werden Funde ans Tageslicht befördert, die das Archäologenherz des 64-Jährigen höherschlagen lassen, wie beispielsweise die Entdeckung der verloren geglaubten Kirche St. Maria Magdalena aus dem 14. Jahrhundert anlässlich der Sanierungsarbeiten auf dem Dachauplatz. Ein besonderes Zuckerl gab es damals auch: Bei der Erneuerung der Brunnenstube stieß man auf einen römischen Steinquader. In unmittelbarer Nähe der Römermauer eigentlich nichts Besonderes. Erst bei genauerem Hinsehen habe man eine verschlossene Kammer im Stein entdeckt, die Heiligenfiguren und kleine Kreuze enthalten habe, beschriftet mit den Namen von Nonnen, die in der Barockzeit im Klarissenkloster gelebt hatten. Eine Zeitkapsel, die man damals in einen recycelten Grundstein für einen Klosterneubau eingeschlossen hatte!

Fotografie: Der Inhalt der Zeitkapsel: Heiligenfiguren und Kreuze, die die Namen der Nonnen trugen
Der Inhalt der Zeitkapsel: Heiligenfiguren und Kreuze, die die Namen der Nonnen trugen © Rademacher
Fotografie: Luftaufnahme Bodendenkmäler
Auf diesem Luftbild deutlich zu sehen: Bodendenkmäler beeinflussen den Bewuchs. So können mögliche Funde kartiert werden. © Otto Braasch

Steinerne Brücke wird länger

Auch die Steinerne Brücke birgt immer noch Geheimnisvolles in sich. „Sie wird mit den Jahrhunderten immer länger“, schmunzelt Dallmeier. So stellte sich bei Grabungen nicht nur heraus, dass es den legendären Schwarzen Turm auf der Nordseite der Brücke wirklich gegeben hat. Anhand von Fundamentresten fanden die Archäologen auch heraus, dass die Brücke bereits bei der Fertigstellung auf beiden Donauseiten befestigt war, und zwar durch zwei Kammertore, die deutlich weiter vom Ufer weg standen als die später errichteten Türme. Zusammen mit den Rampen, die auf die Brücke führten, beträgt die Gesamtlänge der Brücke damit gut 380 Meter, also 50 Meter mehr als bisher angenommen – ein Grund, die Geschichtsbücher neu zu schreiben!

Wer mit Dallmeier spricht, der spürt schnell die Begeisterung für seinen Beruf. Es ist für ihn eine Herzenssache, die reiche Geschichte der Stadt, die im Erdboden ruht, zu dokumentieren und zu konservieren. Dass er sich dabei auf einem schmalen Grat bewegt, ist ihm durchaus bewusst. „Unsere ganze Stadt ist ein einziges Bodendenkmal. Natürlich geht es mir in erster Linie darum, zu schützen, was im Boden verborgen ist. Aber man muss mit Augenmaß vorgehen, sonst geht ja nichts mehr voran.“

Text: Dagmar Obermeier-Kundel