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„Kultur ist ein Standortfaktor“

Maria Lang leitet seit Oktober 2020 das Kulturamt der Stadt Regensburg. Im Interview verrät sie, was sie in ihrem ersten Jahr als Kulturamtsleiterin besonders beeindruckt hat, welche Projekte in diesem Sommer und Herbst geplant sind und warum es für eine Stadt wichtig ist, attraktive Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur zu schaffen.

Porträt: Maria Lang, Leiterin des Kulturamts der Stadt Regensburg

30. Mai 2022

Frau Lang, was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, wenn Sie Ihr erstes Jahr als Leiterin des Kulturamts Revue passieren lassen?

Der Kultursommer, keine Frage. Die dicht gedrängten Monate von Mai bis Oktober 2021 mit weit über 60 Veranstaltungstagen an mehr als 20 Orten und knapp 600 beteiligten Künstlerinnen und Künstler haben uns immer wieder überrascht und begeistert. Freude, Kreativität und frische Energie lagen in der Luft! Der Sommer weckte neue Lebensgeister: Die Biergärten wie Badeseen füllten sich, die Menschen entflohen der Corona-Müdigkeit und auch die Kultur erwachte wieder. Mit unserem begeisterten Publikum durften wir fulminante Veranstaltungen feiern – vor allem die unbeschwerte und euphorische Stimmung hat alle Beteiligten beflügelt. Nicht zuletzt die eingeladenen Künstler/-innen, die ihre ersten Auftritte nach langem Stillstand ebenfalls als große Bereicherung erlebten. Besonders stolz bin ich auf den starken Zusammenhalt unseres kleinen Teams. Es hat mich wirklich beeindruckt, wie wir diese große Herausforderung, oftmals nah an der Belastungsgrenze, mit Herz, Hirn und Hand erfolgreich gemeistert haben. Jeden Tag durften wir viele spannende Eindrücke und Erfahrungen sammeln, die wir jetzt als wertvollen Schatz aus dieser intensiven Veranstaltungssaison mitnehmen. Ohne die gemeinsame Motivation wäre es nicht gelungen, den Kultursommer in kürzester Zeit zu realisieren. Ein Lob, das auch allen Kolleginnen und Kollegen der Stadt gilt, die mit Geduld, Verständnis und viel Engagement dieses Projekt erst ermöglicht haben.

Fotografie: Kultursommer

Wird es eine Neuauflage des Kultursommers geben?

Das Jahr 2021 wird in jeder Hinsicht ein besonderes bleiben: Nicht zuletzt durch den Lockdown im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie unterlag das gesellschaftliche wie kulturelle Miteinander tiefgreifenden Einschränkungen. Dank der großzügigen Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes mit Mitteln aus NEUSTART KULTUR in Höhe von 500.000 Euro ist es uns gelungen, Auftrittsmöglichkeiten zu schaffen, den Kulturbetrieb beim Wiedereinstieg zu unterstützen und gleichzeitig den Regensburgerinnen und Regensburgern hochwertige Angebote und Programme zu bieten. In einem temporären Aneignungsprozess wurden Orte bespielt, gestaltet und transformiert, um behutsam und verantwortungsvoll etwas von dem zurückzugewinnen, was die Stadt für Ihre Bürgerinnen und Bürger ausmacht: Begegnungen im öffentlichen Raum ohne physische und soziale Barrieren. Gerade für junge Künstler/-innen an der Schwelle zur Professionalisierung waren diese neu geknüpften Kontakte auf und hinter der Bühne eine inspirierende Initialzündung.

Diese positive Dynamik nehmen wir mit in die aktuelle Saison: Auch in den kommenden Monaten werden wir wieder einen Sommer voller Kunst und Kultur gemeinsam mit der Szene gestalten und ungewöhnliche Orte abseits der Innenstadt entdecken. Wir wollen kulturelle Aktivitäten und Angebote verstärkt dezentralisieren und mit fünf Viertelfesten in die verschiedenen Stadtteile tragen. Zusammen mit Vereinen, Initiativen und Kooperationen spüren wir dem individuellen Charakter der verschiedenen Regensburger Quartiere nach. So entstehen Begegnung und Austausch, Nachbarschaft und Lebensqualität. Der Fokus liegt auf niedrigschwelligen Angeboten und Kulturprojekten, die zum kreativen wie künstlerischen Handeln einladen und Menschen aller Altersgruppen und sozialer Hintergründe kulturelle Teilhabe eröffnen. Außerdem kehren wir jetzt im Juni mit einer städtischen Bühne zurück an unseren Lieblingsort des Kultursommers, den Grieser Spitz. Dort stärken wir regionale Bündnisse und kooperieren mit bekannten Lokalmatadoren aus der Veranstaltungsbranche, um Kultur direkt vor die Haustür ins Grün zu holen. Und Ende August verwandeln wir mit unserem jungen Format „Sommerflimmern“ den Innenhof im Thon-Dittmer-Palais wieder in einen partizipativen Spielort, der vor allem lokalen Talenten Raum für Experimente eröffnet.

Worauf dürfen sich kulturbegeisterte Regensburgerinnen und Regensburger 2022 sonst noch freuen?

Als überregionale Veranstaltung lockt das „Bayerische Jazzweekend“ Mitte Juli zahlreiche Gäste in die Stadt. Nach einem Wechsel der künstlerischen Leitung stellt sich das Format neu auf und setzt bewusst innovative Akzente: mehr Transparenz, ein externes Kuratorium und eine kreative Gestaltungslinie, die die flirrende Tonalität des Jazz spiegelt. Das Festival steht für wippende Köpfe und zuckende Fußspitzen, für treibende Beats und sanfte Melodien. Kurzum, Jazz muss knistern. Junge Künstler/-innen treten ins Rampenlicht der Bühne und erfolgreiche Größen feiern ihr musikalisches Wiedersehen in unserer Stadt, die ein Wochenende lang auf historischen Plätzen und in atmosphärischen Innenhöfen, Bars, und Clubs zur Jazz-Metropole wird.

Mit dem „KinderKulturFestival“ nehmen wir unser junges Publikum an die Hand, die als Generation von morgen die lebendige Zukunft des Regensburger Kulturlebens gestalten. Kunst und Kultur vermögen mit ihren multidimensionalen Möglichkeiten Kinder und Jugendliche zu erreichen, zu berühren und zu aktivieren. Dieses Jahr widmen wir uns dem bunten Kosmos rund um das Thema Papier, das als sinnliches Gestaltungsmittel fasziniert und mit seiner künstlerischen Wandelbarkeit überrascht. Wie kein anderes Medium hat dieser kulturelle Grundstoff zur Entwicklung der modernen Welt und Wissensgesellschaft beigetragen. Und nicht zuletzt zeigt Papier als Produkt des täglichen Gebrauchs die globalen Zusammenhänge von der Klimakrise bis zur Ressourcenknappheit.

Im September verwandelt Mischkultur e. V. die Regensburger Altstadt wieder für ein Wochenende zum „Kulturpflaster“. Der zeitgenössische Zirkus erobert Plätze, Straßen und Innenhöfe und versetzt das Publikum in Staunen durch seine visuelle Sprache mit Elementen aus Theater, Tanz, Akrobatik, Musik und Performance. Und Ende Oktober steht Regensburg mit dem Festival „push“ wieder ganz im Zeichen der Popkultur, die Freiräume für das Überraschende und Unvorhersehbare eröffnet. Das Kulturzentrum Alte Mälzerei e. V. widmet sich in Veranstaltungen, Konzerten und Performances, aber auch in Workshops, Kursen und Diskussionen, aktuellen jugendspezifischen Themen und verlässt mit aktivierenden Formaten bewusst den konservativen Mainstream.

Fotografie: Rauminstallation „Pömpel“ im Kunst-, Kultur- und Ideenraum „neunkubikmeter“

Welche Rolle spielen Kunst und Kultur denn generell für die Entwicklung einer Stadt und das gesellschaftliche Zusammenleben?

Folgen wir Albertus Magnus, dem mittelalterlichen Ordensmann und Universalgelehrten, der einst auch Bischof von Regensburg war, dann hängt die Vollkommenheit einer Stadt von den in ihr gepflegten Künsten ab. Kultur ist also ein Standortfaktor – und dies nicht nur im ökonomischen Sinn, sondern umfassend verstanden. Sie ist ein wichtiges Feld der Verständigung und gleichzeitig in ihrer Vielschichtigkeit und Vielfalt Ausdruck der Stadtgesellschaft und des Stadtlebens. Kunst und ihre Akteur/-innen stiften Gemeinschaft und verbinden Menschen unterschiedlichster Herkunft über Generationen hinweg. Kultur bietet Heimat, Halt und Orientierung; zugleich ist sie in einer Zeit wachsender gesellschaftlicher Gegensätze eine wichtige Moderatorin, die in ihrer Offenheit für Toleranz und Integration steht.

Als innovationstreibende Kräfte entscheiden Kunst und Kultur darüber, was unsere Gegenwart bestimmt und die Zukunft prägen wird. Neben natürlichen und sozialen Ressourcen sind es zunehmend kulturelle und kreative Strategien, die eine wichtige Rolle für die innovative Stadtentwicklung spielen. Gerade Kunst und Kultur verfügen über das Potenzial, alte Denkmuster aufzubrechen, neue Impulse zu setzen und auf bewegende Weise zu sensibilisieren. Denn in der Kunst liegt die Chance, gesellschaftliche Veränderungen positiv zu gestalten – auch wenn sie die Welt für uns nicht retten und auch keinen Krieg beenden kann. Uns mit besonderen, verdichteten Bildern beistehen aber, uns helfen, wieder etwas Abstand und einen Denkraum zu gewinnen, um Hoffnung zu schöpfen, das kann sie schon. Kunst und Kultur bauen Brücken über Grenzen hinweg und sind Ausdruck von Frieden und Freiheit einer demokratischen Gesellschaft. Deshalb ist es unsere Verantwortung als Kommune, attraktive Rahmenbedingungen und offene Möglichkeitsräume für kreative Positionen, Experimente und Auseinandersetzungen zu schaffen, um gemeinsam das Zusammenleben von morgen zu denken.

Text und Interview: Katrin Butz