Dr. Lutz Dallmeier war 34 Jahre lang das Gesicht der Regensburger Stadtarchäologie. Nun geht unser „Lutz vom Denkmalschutz“, wie er intern gern liebevoll genannt wurde, in den Ruhestand. Ein Gespräch mit ihm und seinem Nachfolger Dr. Johannes Sebrich.
Herr Dr. Dallmeier, Sie waren 1990 der erste fest angestellte Stadtarchäologe bei der Stadt Regensburg – einer Stadt mit 2.000-jähriger Geschichte. Warum wurde diese Stelle erst so spät eingerichtet?
Dallmeier: Der Schutz von Bodendenkmälern hat in den Aufbaujahren nach dem Krieg lange keine Rolle gespielt. Erst ab den 1970er Jahren wurden in den Bundesländern langsam Denkmalschutzgesetze erlassen. In Bayern trat es 1973 in Kraft, wurde aber in der Praxis lange kaum vollzogen. Regensburg war in den 80er Jahren eine der ersten Kommunen, die erkannte, wo der eigene Wert liegt, dass wir auf „unser Sach‘“, wie man in Bayern sagt, aufpassen müssen und dass das mit Überzeugungsarbeit allein nicht funktioniert. Mit der damals neuen Stelle des Stadtarchäologen schuf die Stadt die Voraussetzung, um das Denkmalschutzgesetz vor Ort konsequent umzusetzen. Das heißt, jeder, der im Bereich von Bodendenkmälern in den Boden eingreift, muss die Denkmalpflege beteiligen und entsprechend ihren Vorgaben mit den Denkmälern umgehen. Damit war Regensburg 1990 tatsächlich noch Vorreiter.
Dallmeier: Die Leute denken ja oft, wir wären eine Art Schatzsucher und beneiden uns darum, dass wir unser Hobby zum Beruf gemacht haben. Tatsächlich findet der größte Teil unserer Arbeit aber im Büro, am Computer statt. Unser Tagesgeschäft sind die sogenannten denkmalrechtlichen Erlaubnisse. Das heißt, erst einmal dafür zu sorgen, dass jeder, der eine Baustelle im Bereich von Bodendenkmälern plant, weiß, dass er eine Erlaubnis beantragen muss.
Sebrich: Die Karten, auf denen die Bodendenkmäler verzeichnet sind, sind öffentlich einsehbar, aber längst nicht vollständig. Nur schätzungsweise zwanzig bis dreißig Prozent aller Bodendenkmäler sind bekannt und hier verzeichnet. Die Lage von weiteren Bodendenkmälern lässt sich erschließen, zum Beispiel aufgrund der Topografie, anhand von Luftbildern, oder weil in der Umgebung bereits andere Bodendenkmäler bekannt sind. Auch in der Nähe von geschichtsträchtigen Orten, wie z.B. Klöstern, kann man davon ausgehen, dass es Bodendenkmäler geben könnte. Alle Kommunen sind verpflichtet, solche sogenannten Vermutungsflächen auszuweisen und Eigentümer darüber zu informieren, dass sie hier nicht ohne Weiteres graben dürfen. Das ist viel Recherchearbeit, lohnt sich aber.
Dallmeier: Das Schlimmste für alle Beteiligten ist, wenn ein Bodendenkmal überraschend entdeckt wird, wenn eine Baumaßnahme schon läuft. Für den Bauherrn bedeutet das, dass die Baustelle bis zur Abklärung stillsteht. Und natürlich steigt auch die Gefahr, Denkmäler zu beschädigen oder sie gar zu verlieren, ohne dass die Archäologie vorher draufschauen konnte.
Sebrich: Wenn der Antrag, wie es das Gesetz vorgibt, vorher bei uns eingeht, beurteilen wir die Qualität von dem, was durch die Baumaßnahme kaputtgehen könnte. Dazu beteiligen wir das Landesamt für Denkmalpflege als Gutachterbehörde. Der Bauherr bekommt dann einen Bescheid mit Auflagen, die er beachten muss. Meistens geht es darum, die Baustelle archäologisch begleiten oder die Funde fachgerecht ausgraben zu lassen. Wir bearbeiten pro Jahr ungefähr 100 Anträge, von der Großgrabung bis zur kleinsten Baugrube. Mit dem Bescheid ist es dabei nicht getan. Die Maßnahme muss auch betreut werden, das heißt wir kontrollieren, ob die Auflagen eingehalten werden, beraten den Bauherrn und übernehmen zum Teil auch die wissenschaftliche Begleitung. Dabei versuchen wir, Lösungen zu finden, die sowohl für den Denkmalschutz als auch für die Baumaßnahme zielführend sind. Zum Beispiel konnten wir im ehemaligen Klarissenkloster am heutigen Dachauplatz mit der Bauleitung unmittelbar vor Ort den geplanten Standort eines neuen Kanalschachtes so verlegen, dass dieser exakt zwischen Innenmauern des Klosters eingebracht werden konnte, ohne Denkmalsubstanz zu zerstören. Wenn dann am Ende alle zufrieden sind, macht das schon Spaß.
Wie hat sich Ihr Beruf über die Jahre verändert?
Dallmeier: Die Technik hat sich natürlich weiterentwickelt. Die Digitalisierung macht auch vor der Archäologie nicht halt. Die Vermessungstechniken werden immer genauer, was natürlich sehr hilfreich ist. Der Mensch ist aber nach wie vor das Wichtigste. Gegraben wird immer noch mit der Hand. Und auch die beste Digitalkamera nützt nichts, wenn ich nicht genau weiß, was ich fotografieren muss. Verändert hat sich ein Stück weit meine Herangehensweise: Ich bin als reiner Ausgräber in den Beruf gekommen, weniger als Denkmalschützer. Heute frage ich mich viel mehr, wie kann ich die Funde bestmöglich schützen. Das kann auch einmal bedeuten, sie im Boden zu belassen, damit sie später einmal besser – vielleicht sogar zerstörungsfrei – rausgenommen werden können.
Welche Baustellen und Funde sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Dallmeier: Die größte Maßnahme war die Großgrabung in Burgweinting, die wir gemeinsam mit dem Landesamt für Denkmalpflege betreut haben. Mit 66 Hektar und über zwanzig Jahren Laufzeit (ab Mitte der 1990er Jahre) war das auch deutschlandweit eine ziemlich einmalige Sache. Die aufwändigste Grabung war sicher die auf dem Donaumarkt. Bevor das Haus der Bayerischen Geschichte gebaut wurde, ist der Platz bis in die tiefen Bodenschichten gründlich untersucht worden. Auch die Ausgrabung rund um die mittelterliche Synagoge in den 1990er Jahren auf dem Neupfarrplatz bleibt natürlich in Erinnerung. Im Mittelalter war die jüdische Gemeinde in Regensburg eine der größten in ganz Deutschland. Die Grabungen auf dem Neupfarrplatz waren so etwas wie ein Einstieg in diese Welt. Was die Funde betrifft, gab es spektakuläre Einzelstücke, wie den Goldschatz, der bei der Grabung auf dem Neupfarrplatz damals zutage gekommen ist. Der einzelne Fund steht für mich aber gar nicht so sehr im Vordergrund. Letztlich dient jeder Fund, den wir offenlegen, als Quelle für die Geschichtsschreibung. Das können durchaus auch scheinbar unspektakuläre Alltagsgegenstände sein.
Was hätten Sie denn gerne gefunden oder würden Sie gerne noch finden?
Dallmeier: 2009 konnten wir durch gezielte Bodensondagen im Bereich vor dem Hauptbahnhof den mittelalterlichen jüdischen Friedhof lokalisieren. Seitdem sind wir dabei, die Grenzen dieses Friedhofs möglichst genau auszuloten. Zuletzt haben wir im Vorfeld der Grabungen für die neuen Masten in der Fürst-Anselm-Allee zwei Grabgruben entdeckt, die vielleicht dazugehören könnten. Dieses Thema geht mir tatsächlich persönlich nach. Denn nur, wenn ich weiß, wo etwas ist, kann ich es auch schützen.
Was mich außerdem sehr interessieren würde, ist die Frage, wo die Westmauer der römischen Lagerbefestigung abgeblieben ist. Im Norden, Süden und Osten haben wir die bekannten Funde der Römermauer. Nach allem, was wir wissen, müsste die Mauer auf der Westseite im Bereich der heutigen Wahlenstraße verlaufen sein. Hier ist aber nie etwas davon gefunden worden. Warum ist das so? Da kommt man schnell in eine Detektivarbeit. Wir haben zum Beispiel im Obermünster-Campanile in den unteren zwei Stockwerken echte römische Steinquader gefunden. Als vor einigen Jahren die Steinerne Brücke saniert wurde, haben wir gesehen, dass auch hier jede Menge römischer Quader verbaut worden sind. Ist das vielleicht die Lösung? Wurde die Westmauer um das Jahr 1100 abgebaut und ihre Steine als Baumaterial verwendet? In welchen Kirchtürmen sind noch römische Steine verbaut worden? Solche Fragen können einen schon ziemlich in Beschlag nehmen.
Werden Sie sich auch im Ruhestand damit beschäftigen?
Dallmeier: Mal schauen, was meine Frau dazu sagt … Aber ja, ich habe mir schon vorgenommen, weiter zu forschen. Diese Themen, mit denen man lebenslang konfrontiert war, lassen einen nicht so einfach los. Auf viele Fragen wird es keine Lösungen geben.
Sebrich: Das ist einerseits das Spannende an unserem Beruf, andererseits kann es einen natürlich auch wahnsinnig machen, weil wir immer nur kleine Indizien haben. Unsere Arbeit ist letztlich immer Stückwerk. Aber es ist wichtig, dass wir die Fragen aufwerfen und versuchen, uns den Antworten möglichst genau anzunähern. Auch wenn es oft eine unglaubliche Friemelei ist.
Dallmeier: Jeder Fund hilft uns, mehr herauszufinden, wie es früher bei uns ausgesehen hat, wie die Menschen gelebt haben und wie sich bestimmte Ereignisse auf das Alltagsleben ausgewirkt haben. Warum entwickelt sich eine Stadt in eine bestimmte Richtung? Aus den Erkenntnissen über die Vergangenheit lassen sich auch Schlüsse ziehen, die für unsere Gegenwart und Zukunft interessant sind.