„Im Kampf gegen das Vergessen – Erinnerungskultur in unruhigen Zeiten“
Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Gleichzeitig werden rechtsextremistische Tendenzen immer salonfähiger. Droht die Erinnerung an den Holocaust zu verblassen? Ein Gespräch mit Martina Köglmeier, Leiterin der Stabsstelle „Gedenk- und Erinnerungsarbeit sowie Extremismusprävention“ beim Referat für Bildung der Stadt Regensburg.

27. Mai 2025
Frau Köglmeier, Sie sind seit dem 1. Januar 2025 die neue Leiterin der Stabsstelle. Welche Pläne haben Sie für die Gedenk- und Erinnerungsarbeit in Regensburg?
Ich hatte durch meine vorherige Tätigkeit als Lehrerin für Deutsch, Geschichte und Ethik und dann als Archivpädagogin bereits viele Berührungspunkte mit der Thematik. Dennoch musste ich mich erst einmal zurechtfinden, mein Netzwerk erweitern und auch viele Altlasten abarbeiten. Trotzdem haben wir heuer bereits einige neue Projekte umgesetzt – beispielsweise die Herausgabe des Buches „Ihr letztes KZ“ von Hans Simon-Pelanda oder die Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Bücherverbrennung auf dem Neupfarrplatz am 12. Mai, an der über sechs Stunden lang verschiedenste Menschen jeweils für fünf Minuten aus Büchern vorlasen, die dort 1933 verbrannt worden waren. Ich möchte mich für eine offene, lebendige Gedenkkultur einsetzen, die nicht im stillen Kämmerlein stattfindet, sondern da, wo viele, besonders auch junge Menschen erreicht werden.
Stichwort junge Menschen – wie wollen Sie es schaffen, Jugendliche für ein Thema zu interessieren, das 80 Jahre her ist?
Wir müssen wegkommen von Schuldzuweisungen. Junge Menschen können heute nicht mehr verantwortlich gemacht werden für etwas, das ihre Urgroßeltern möglicherweise getan haben. Aber wir müssen ihnen klarmachen, dass wir alle die gesellschaftliche Verantwortung haben, dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder passiert. Dabei ist es wichtig, ihnen zu zeigen, was für ein unglaublich hohes Gut die Demokratie ist und dass es sich lohnt, für sie zu kämpfen.

Früher wurden Zeitzeugen in Schulen eingeladen, um den Jugendlichen aus erster Hand von ihren Erlebnissen zu erzählen. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Wie kann man ihre Geschichten trotzdem erlebbar machen?
Hier gibt es zum Glück unglaublich viele tolle Möglichkeiten. Dank neuer Medien wie Künstlicher Intelligenz, Virtual Reality-Brillen oder Ausstellungen mit Videos und Touchscreens kann man Geschichte erlebbar machen. Wichtig ist aber auch, einen regionalen oder persönlichen Bezug herzustellen. Wenn die Jugendlichen hören, dass etwas in Berlin oder München passiert ist, betrifft sie das nicht so stark als wenn man ihnen zeigt, dass zum Beispiel genau hier am Dachauplatz der Domprediger Dr. Johann Maier ermordet wurde oder in Stadtamhof gleich neben der Eisdiele früher ein KZ-Außenlager war. In dem Zusammenhang ist auch die Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv sehr wichtig: Regionales Erinnern funktioniert nicht ohne regionale Quellen.
Und genauso ist es, wenn wir sie dazu bringen, in ihrer eigenen Familie nachzuforschen. Ich habe mal eine 9. Klasse gebeten, mit Fragebögen ihre Großeltern zur ihren Erlebnissen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit zu interviewen. Was dabei rauskam, war der absolute Wahnsinn! Am Ende hatte ich nicht nur einen ganzen Ordner voll ausgefüllter Interviews, sondern auch zwei Tüten mit Erinnerungsstücken – von Postkarten über USB-Sticks mit Fotos bis hin zu Stahlhelm und Gasmaske. Später habe ich mit diesen Schülern sogar noch eine Ausstellung über die 50er bis 70er Jahre mit dem Titel „Helden, Hausfrauen und Hippies“ gemacht, die wir ausschließlich mit Erinnerungsstücken füllten, die die Jugendlichen aus ihren Familien zusammengetragen hatten. Das hat am Ende nicht nur die Beziehung der Kinder zu ihren Großeltern verändert, sondern auch echtes Interesse und Verständnis generiert.
Das ist sicher ein genialer Ansatz, der aber leider oft nicht in den straffen Lehrplan passt…
Das ist richtig und schade. Dennoch bin ich überzeugt, dass die besten Ideen von den Schülern selbst kommen – man muss sie einfach nur fragen. Beispielsweise haben Lehrer vom Von-Müller-Gymnasium mit ihren Klassen unsere Gedenkveranstaltung zur Bücherverbrennung besucht und sich auch aktiv beteiligt. Im Anschluss haben sie im Unterricht die Aktion analysiert und überlegt, was sie daran gut und schlecht fanden. Daraus kann man viel für künftige Veranstaltungen lernen.
Inhaltlich sind Gedenkveranstaltungen zum Holocaust ja oft sehr eindrucksvoll, die Geschichten nur schwer auszuhalten. Sie sind nun tagtäglich damit konfrontiert – wie halten Sie das aus?
Das ist tatsächlich nicht einfach, manchmal träume ich sogar davon. Ich frage mich, was das für Menschen waren, die zu solchen Gräueltaten fähig waren. Früher dachte ich immer, das waren ganz spezielle, fürchterliche Unmenschen, aber inzwischen glaube ich, dass fast jeder von uns dazu fähig wäre. Ich hoffe, ich kann mit meiner Arbeit in der Stabsstelle dazu beitragen, zu verhindern, dass so etwas wieder passiert. Ich bemühe mich jedenfalls!
Vielen Dank für das Gespräch.
Text und Interview: Kristina Kraus
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Die Stabsstelle Gedenk- und Erinnerungsarbeit sowie Extremismusprävention
Seit 2015 gibt es bei der Stadt Regensburg die Stabsstelle Gedenk- und Erinnerungsarbeit sowie Extremismusprävention, die beim Referat für Bildung angesiedelt und derzeit mit zwei Personen besetzt ist. Neben der Organisation und Durchführung von jährlichen Gedenktagen und Veranstaltungen, realisiert das Team Projekte in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Kooperationspartnern, indem es sie finanziell, organisatorisch und inhaltlich unterstützt. Es bildet eine Schnittstelle zwischen Verwaltung, Politik und der Öffentlichkeit. Bei ihrer Arbeit stützt sich die Stabsstelle unter anderem auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Themen Erinnern heute, die Zukunft des Erinnerns oder Extremismusforschung. Dazu gehört auch ein regelmäßiger Austausch mit Wissenschaftlern, Regierungen, Organisationen und Institutionen, um daraus neue Projekte für Regensburg zu entwickeln und gezielt auf Kooperationspartner zuzugehen.