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Stadtfreiheitstag 2021

Begrüßungsansprache von Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer anlässlich des Stadtfreiheitstages 2021 am 6. November 2021 um 20 Uhr im Historischen Reichssaal

- Es gilt das gesprochene Wort - 

Anrede

Freiheit.

Es ist und war oft die Rede von Freiheit in den letzten Monaten. Viele Bürgerinnen und Bürger schätzen die Freiheit in unserem Land, in unserer Stadt. – Andere beklagen den Verlust der Freiheit.

Einer Umfrage der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ zufolge sehnen sich 35 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nach dem Tag, an dem alle Corona-Schutzmaßnahmen enden. Sie sehnen sich nach einem Freedom Day, einem Freiheitstag – wie er in Großbritannien und Dänemark schon im September gefeiert wurde. 35 Prozent, also ein gutes Drittel sind dafür, dass die geltenden Corona-Maßnahmen enden. Dem gegenüber steht der größere Teil der Befragten, der die geltenden Corona-Schutzmaßnahmen für angemessen hält.

Bei Unterhaltungen, die ich in den letzten Tagen, Wochen und Monaten zum Thema Corona-Einschränkungen geführt habe, ist mir aufgefallen, wie unterschiedlich die Auffassungen meiner Gesprächspartnerinnen und -partner zu diesem Thema sind. Immer wieder kam es mir vor, als trage der Begriff der Freiheit wie er im Zusammenhang mit der Pandemie diskutiert wird, eher zur Verwirrung als zur Klärung bei.

Zwei miteinander verwandte Formulierungen fallen mir dazu ein und vielleicht liegen Sie auch Ihnen, liebe Festgäste, gerade auf der Zunge. „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“ Dieses Zitat wird Rosa Luxemburg zugeschrieben. Und von Immanuel Kant stammt der Ausspruch: „Die Freiheit des einen endet immer dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.“ 

Beide Freiheitsbegriffe verweisen auf eine gewisse Ambivalenz. Sie deuten an, dass das, was für den einen erstrebenswert und gut ist, für den anderen nicht unbedingt das Gleiche bedeuten muss. Genau darin liegt die Herausforderung, die der Begriff der Freiheit in sich birgt.

Der Stadtfreiheitstag, an den wir heute erinnern, bezieht sich ursprünglich auf einen sehr viel formaleren Freiheitsbegriff als den unseren, der stark auf das Individuum bezogen ist. Eine Freie Stadt war eine, die weder einem Herzog, einem Fürsten oder Bischof unterstand, sondern einzig und allein dem Kaiser. 

Am 10. November 1245 erhob Friedrich II., damals Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Regensburg zur Freien Reichstadt. Zu den Privilegien einer solchen Freien Reichstadt gehörte fortan, sich selbst zu verwalten. Die Macht des Herzogs wich der Herrschaft des Bürgermeisters und des Magistrats. Die Macht des Bischofs galt nur noch im eng abgesteckten Einflussbereich des Dombezirks. Die Stadt war frei, Regensburg blühte. Und wer jetzt als Leibeigener etwa vor menschenunwürdigen Bedingungen in die Freie Reichstadt floh, untertauchte und binnen Jahresfrist von seinem Grundherrn nicht zurückgefordert wurde, war ein freier Mensch. – Darauf bezieht sich der Ausdruck: „Stadtluft macht frei“.

Auch das ist ein Begriff von Freiheit. Sowohl in der Entwicklung des bürgerlichen Individuums als auch in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft spielt der Begriff der Freiheit eine große Rolle. 

Der Stadtfreiheitstag, jener 10. November des Jahres 1245, markiert in der Geschichte unserer Stadt einen wesentlichen Akt. Wir erinnern daran, dass Regensburg damals vom Kaiser zur Freien Reichstadt erhoben wurde. Seit 1980 feiern wir diesen Tag als Stadtfreiheitstag im Rahmen eines Festakts. Dabei verharren wir nicht in seiner historischen Bedeutung,
sondern nähern uns dem Themenkomplex Freiheit aus unterschiedlichsten Perspektiven. Und wir verleihen an diesem Tag Preise an verdiente Menschen aus Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft.

Damit ehren wir Vorbilder und schaffen einen Anreiz, es diesen Persönlichkeiten gleichzutun und für die Freiheit von Kunst und Wissenschaft sowie für bürgerliches und wirtschaftliches Engagement einzutreten. Heute vergeben wir die Matthäus-Runtinger-Medaille für wirtschaftliche Verdienste, die Albertus-Magnus-Medaille für herausragende kulturelle Leistung, die Stadtschlüssel für Engagement im Sinne der Stadtgesellschaft und den Städtepartnerschaftspreis für das Fördern der Beziehungen zu den Partnerstädten unserer Stadt.

Als Festrednerinnen oder Festredner laden wir am Stadtfreiheitstag regelmäßig Menschen ein, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigt haben und uns ihren jeweiligen Zugang zum Thema Freiheit nahebringen. Zum ersten Mal in 40 Jahren musste die Feier des Stadtfreiheitstags 2020 – pandemiebedingt – leider entfallen. 

2019 sprach Dr. Ulrich Maly, langjähriger Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg und Präsident des Deutschen Städtetags über die „Kommunale Selbstverwaltung oder Stadtfreiheit (als) Keimzelle der Demokratie in unserem Land“. Im Jahr davor – 2018 – erörterte Festrednerin Verena Bentele den Zusammenhang zwischen Inklusion und Freiheit, während wieder ein Jahr vorher die Festrede von Professor Reinhard Zimmermann die Kultur des europäischen Rechts behandelte – wieder ein anderer Aspekt von Freiheit.

Die Festreden zum Stadtfreiheitstag sind zum einen ein Spiegel der Fragen, die uns als Stadtgesellschaft beschäftigen, zum anderen reflektieren sie den Wandel des Freiheitbegriffs. So komplex, schillernd und vieldeutig der Begriff der Freiheit auch immer sein mag, zu jeder Zeit war mit diesem Wort eine höchst attraktive Vorstellung verbunden. 

Ich freue mich darüber, dass wir uns als Stadtgesellschaft am Stadtfreiheitstag, unserem Feiertag, der Freiheit immer wieder von Neuem vergewissern können. Dieser Feiertag gibt uns die Gelegenheit, immer wieder über neue Aspekte von Freiheit nachzudenken, in unseren Gedanken zur Freiheit Feinjustierungen vorzunehmen, um schließlich wieder von Neuem Empathie für die Freiheit der anderen aufzubringen. 

Als wir vor zwei Jahren den Festvortrag Ulrich Malys zum Stadtfreiheitstag hörten, konnten wir uns kaum vorstellen, wie unmittelbar und physisch das geflügelte Wort von der Freiheit des anderen ein paar Monate später unseren Alltag bestimmen würde. „1,5-Meter-Gesellschaft“ nannten wir die neue Form der Begegnung. Sie wandelte sich zu einer neuen Normalität. Die Pandemie hat sowohl unser gesellschaftliches Zusammenleben verändert als auch unseren Begriff von Freiheit.

Meine eigene Idealvorstellung von Freiheit stellten die vergangenen beiden Pandemiejahre auf eine harte Probe. Als Oberbürgermeisterin verstand ich es als meine vordringliche Aufgabe zwischen dem Gemeinwohl und der Freiheit des Individuums abzuwägen. Das Dilemma zwischen Sicherheit und Freiheit war dabei so spürbar wie lange nicht mehr. Wer im Namen des Gemeinwohls und der öffentlichen Gesundheit Einschränkungen beschließt und sie kontrolliert,
stößt unweigerlich auf Widerstand.

Ob eine Regierung oder eine Stadtverwaltung überhaupt soviel Sicherheit und Stabilität gewähren kann, wie sie gewähren will, ist fraglich und doch will ich mich dafür stark machen. Sicherheit und Freiheit müssen keine Gegensätze sein. Ich finde, sie sind vielmehr voneinander abhängig. 

„Politische Freiheit ist ohne den sicheren Schutz vor willkürlicher Macht und Machtmissbrauch undenkbar“, schreibt die Politologin Albena Azmanova. – Die Bulgarin war Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts Mitglied der Dissidentenbewegung, die das dortige Regime 1989 zu Fall brachte. Sie hält es grundsätzlich für falsch, Sicherheit und Freiheit gegeneinander auszuspielen. Sie schreibt weiter – ich zitiere: „Warum meinen wir, zwischen diesen beiden Werten wählen zu müssen, die wir als wesentlich erachten. Warum ist der Gegensatz zwischen Sicherheit und Freiheit eigentlich so zentral im politischen Leben unserer Gesellschaften? Warum gilt die Sicherheit als Feindin der Freiheit?“

Als Oberbürgermeisterin hat auch mich diese Frage in den letzten Monaten bewegt und stark beschäftigt.  

Doch nun, sehr geehrte Damen und Herren, möchte ich die Freiheitsforscherin Prof. Dr. Ulrike Ackermann sehr herzlich hier in Regensburg zum Stadtfreiheitstag begrüßen. Sie wird heute die Festrede halten. 

Frau Prof. Dr. Ackermann ist Direktorin und Gründerin des 2009 in Heidelberg gegründeten John-Stuart-Mill-Instituts für Freiheitsforschung, benannt nach dem britischen Denker, Politiker, Ökonomen und Streiter für die Frauenemanzipation im 19. Jahrhundert. 

„On Liberty“ ist eines der wichtigsten Werke John Stuart Mills. Es erschien 1859. In dieser philosophischen Abhandlung forderte Mill die moralische und ökonomische Freiheit des Individuums gegenüber dem souveränen Staat. Er formulierte – ich zitiere: „Über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist, ist ein Individuum souverän. Jeder kann alles tun, was er will, solange er niemandem direkt schadet.“ Die Forderung nach der Souveränität des Individuums war radikaler Stoff für Leserinnen und Leser der viktorianischen Gesellschaft. Doch ist sie noch heute so relevant, dass Ulrike Ackermann ihr Institut für Freiheitsforschung nach John Stuart Mill benannte.

Die Politikwissenschaftlerin und Soziologin lehrte von 2008 bis 2014 an der Universität Heidelberg Politische Wissenschaften mit dem Schwerpunkt „Freiheitsforschung und Freiheitslehre“. Bereits 2002 hatte sie das Europäische Forum an der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gegründet und geleitet. – Ulrike Ackermann ist Autorin für Rundfunk und Printmedien. Die Titel ihrer Veröffentlichungen lesen sich wie eine soziologische Seismografie. Zuletzt ist 2020 ihr Werk „Das Schweigen der Mitte. Wege aus der Polarisierungsfalle“ erschienen.

Ich freue mich, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind, und ich bin schon sehr gespannt auf Ihren Vortrag „Freiheit in der Krise?“

Doch lassen Sie mich vorher noch kurz auf den weiteren Verlauf unseres Festakts zum Stadtfreiheitstags eingehen. Wie immer gibt es Musik – besondere Musik, ausgesuchte Musik. – Dieses Mal ist es der erfrischend optimistische Sound der jungen Regensburger Sängerin Anne Schnell und ihrer Band Jojo-Effect. – Danke, dass Sie heute für uns spielen und singen.

Nach der Festrede von Prof. Dr. Ackermann findet die feierliche Verleihung der städtischen Preise statt. Auch darauf freue ich mich sehr. Jetzt aber wünsche ich Ihnen, liebe Festgäste, viel Erkenntnis beim Festvortrag über den Zustand der Freiheit und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.