Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag

- Es gilt das gesprochene Wort - 

Rede von Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer anlässlich der Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag am 16. November 2025 um 11.45 Uhr im Stadtpark/Mahnmal unter den Linden

Anrede

ich heiße Sie alle willkommen zur Gedenkveranstaltung anlässlich des Volkstrauertages. Dieser Tag steht 2025 im Zeichen eines bedeutenden Jubiläums: Dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren.

80 Jahre Kriegsende – Das bedeutet Dankbarkeit.

Wir dürfen in Deutschland seit 80 Jahren in Frieden leben – so lange, wie noch keine Generation zuvor.

Die meisten von uns kennen den Krieg nur aus Erzählungen. Die meisten von uns mussten nie Angst haben um Verwandte im Kriegseinsatz, nie Bombennächte im Schutzkeller verbringen, nie mit dem unermesslichen Ausmaß an Tod und Zerstörung zurechtkommen, die ein Krieg mit sich bringt. Wir konnten unser Leben in Frieden aufbauen, Wohlstand schaffen, unsere Interessen und Ziele verfolgen.

Was für ein unglaubliches Privileg!

Die Generationen unserer Eltern, unserer Großeltern oder Urgroßeltern hatten nicht dieses Glück. Und auch uns wird mehr und mehr bewusst, dass Frieden keineswegs selbstverständlich ist.

Nach der friedlichen Revolution und der deutschen Wiedervereinigung 1990 schien der Konflikt zwischen Ost und West endgültig überwunden, ein dauerhafter Frieden in Europa erreicht zu sein.  

Spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ist offensichtlich, dass das eine Illusion gewesen ist. Europa sieht sich mit neuen Bedrohungsszenarien, der Gefahr eines neuen Wettrüstens und weiterer Eskalationen konfrontiert. Wann die Menschen in der Ukraine endlich wieder in Sicherheit und Frieden leben können, ist nach wie vor nicht absehbar.

Auch der Konflikt im Nahen Osten zwischen Israel und der radikal-islamistischen Hamas ist durch den grausamen Terrorakt der Hamas am 7. Oktober 2023 mit aller Härte aufgeflammt. Die jüngst verhandelte Waffenruhe mit Heimkehr der Geiseln gibt vorsichtig Grund zur Hoffnung.

Die zarte Pflanze des Friedens, die damit gesät wurde, benötigt allerdings höchst wachsame Pflege, um nachhaltig wachsen zu können.

Alle Konflikte und Auseinandersetzungen bringen unsägliches Leid für die Zivilbevölkerung mit sich – diese grausame Logik des Krieges gilt heute wie damals.

80 Jahre Kriegsende – das bedeutet Erinnern und Gedenken.

Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht markiert der 8. Mai 1945 das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. In Asien und im Pazifikraum war es erst Monate später – am 2. September 1945 – so weit, nachdem Hiroshima und Nagasaki im August im atomaren Feuer untergegangen waren.

Das Ausmaß der Zerstörung und des Leids dieser Jahre lässt uns bis heute fassungslos zurück:

Mehr als 65 Millionen Menschen verloren ihr Leben, darunter über die Hälfte Zivilisten. Sie starben durch Kriegshandlungen und Bombenangriffe, sie fielen dem Massenmord in den Konzentrationslagern zum Opfer, sie kamen auf der Flucht, im Zuge der Deportation und Vertreibung oder in Kriegsgefangenschaft ums Leben.

Eine unvorstellbare Zahl an Menschenleben, die sinnlos ausgelöscht wurden. Willkürlich und grausam. Durch einen Terror, dem zuvor Hass, Hetze und Propaganda den Weg bereitet hatten.

Es gibt heute kaum noch Zeitzeugen, die uns aus erster Hand berichten können, was damals geschehen ist. Gerade deshalb dürfen wir nicht nachlassen, ihre Geschichten weiterzuerzählen, sie an die nächsten Generationen weiterzugeben, die Erinnerung lebendig zu halten.

Denn es war keine unvermeidliche Naturkatastrophe, die all diese Zerstörung, all dieses Leid verursacht hat. Es waren Menschen. Menschen, die angestiftet haben, Menschen, die mitgemacht haben, Menschen, die weggeschaut haben.

Und heute?

Die Zeit, in der wir leben, ist eine Zeit der Veränderungen und Krisen. Klimawandel, Kriege, wirtschaftliche Umbrüche, politische Spannungen – die Welt scheint in vielen Bereichen aus den Fugen zu geraten. Neue Technologien wie die KI bringen neue Herausforderungen mit sich, für die wir noch keine Lösungen haben. Nachrichten, aber auch Fake News, verbreiten sich mit rasender Geschwindigkeit.

Der gesellschaftliche Zusammenhalt scheint zu bröckeln, Hass und Hetze nehmen zu – im Internet, aber nicht nur dort. 

Wir müssen uns dieser Entwicklung mit aller Entschlossenheit entgegenstellen!

Miteinander im Gespräch bleiben, hinschauen, laut werden, wenn Unrecht geschieht, uns gemeinsam für unsere Demokratie stark machen.

Denn: 

80 Jahre Kriegsende – das bedeutet auch Mahnung und Auftrag.

Nie wieder dürfen Lügen, Hass und Hetze die Politik bestimmen! 

Nie wieder dürfen wir es zulassen, dass Minderheiten in unserem Land ausgegrenzt, verfolgt und schikaniert werden!

Das ist unsere Verantwortung.

Das sind wir den Opfern von Krieg und Terror schuldig, an die wir heute am Volkstrauertag erinnern – und für die ich nun das Totengedenken spreche:

Wir denken heute

an die Opfer von Gewalt und Krieg,
an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken

der Soldaten, die in den Weltkriegen starben,
der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in
Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer,

die verfolgt und getötet wurden,
weil sie einem anderen Volk angehörten,
einer anderen Rasse zugerechnet wurden,
Teil einer Minderheit waren, etwa wegen ihrer geschlechtlichen oder sexuellen Identität,
oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer,

die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,
und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern

um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage,
um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung,
um die Bundeswehrsoldaten,
Polizisten und anderen Einsatzkräfte,
die im Einsatz für unser Land ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer,

die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind.
Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.

Wir trauern mit allen,

die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz.

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.