1050 Jahre Regensburger Domspatzen
- Es gilt das gesprochene Wort -
Rede von Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer anlässlich des Festakts 1050 Jahre Regensburger Domspatzen am 8. Mai 2025 um 19 Uhr im Historischen Reichsaal
Anrede
Ganz genau weiß ich es nicht mehr, wann ich die Domspatzen zum ersten Mal gehört habe. Eines weiß ich aber ganz sicher: Es erfüllt mich jedes Mal wieder mit großer Freude, wenn ich die Domspatzen höre.
Es ist der unvergleichlich weiche und zugleich feste Klang des Chores, der die Domspatzen so unverwechselbar macht und der sich bis heute erhalten hat.
Anlässlich der 1000-Jahrfeier der Domspatzen sprach die Presse vom „ganz speziellen Timbre der Knabenstimmen“. Obwohl Sänger und Domkapellmeister wechselten, erkenne ich diesen Klang. Die Klangfarbe der Regensburger Domspatzen ist für mich unvergleichlich.
Sie ist ein Phänomen.
Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftler können sicher erklären, was dahintersteckt und wie sich die Domkapellmeister im Lauf der Jahrzehnte jeweils auf diesen einzigartigen Klang verständigten. Sie bewahrten diesen Klang und modernisierten ihn zugleich, so dass wir den Domspatzen heute noch genauso gerne zuhören wie Generationen vor uns. – Für mich bleibt dieser Klang ein Wunder.
Danke, liebe Domspatzen, die Ihr unsere Stadt seit 1050 Jahren bereichert.
Ihr gehört zu Regensburg wie der Dom und die Steinerne Brücke.
Ihr seid ein Teil unserer Stadt.
Ihr seid etwas ganz Besonders.
Ihr seid sich stets erneuerndes immaterielles Kulturerbe.
Das ist etwas unglaublich Großes.
Selbst so beständige Systeme wie die Regensburger Domspatzen folgen gesellschaftlichen Entwicklungen. Besonders freut es mich in diesem Zusammenhang, dass seit ein paar Jahren auch Mädchen Domspatzen werden können.
Das Faszinierende an den Regensburger Domspatzen ist, dass sie beides kennen – die Beständigkeit und den Wandel. Damit sind sie ein bisschen so wie Regensburg selbst, die Stadt, über die ein Mönch aus dem Kloster St. Emmeram einst schrieb, sie sei „alt und neu zugleich“.
Als dieser Mönch – sein Name war Othlo – sein Gelübde im Benediktinerkloster St. Emmeram ablegte, waren die Äbte des Klosters gleichzeitig Bischöfe des Bistums Regensburg. – Das änderte sich mit Bischof Wolfgang von Regensburg.
Wolfgang, der Reformer, hatte 975 – also vor genau 1050 Jahren – die bestehende Verbindung zwischen dem Bistum und St. Emmeram gelöst und die Besitzverhältnisse geordnet. Damit schuf er die organisatorischen und materiellen Voraussetzungen für eine selbständigen Domschule bei der Domkirche St. Peter. Mit diesem emanzipatorischen Akt legte Bischof Wolfgang den Grundstein für die Chorschule Regensburger Domspatzen.
Schon damals bestand das Hauptanliegen der Chorschule ebenso in der Gesangsausbildung wie auch in der Vermittlung allgemeinbildenden Wissens. Die Domschüler lebten im unmittelbaren Umfeld der Kirche.
Dass sie verspielt und zu Streichen aufgelegt waren wie andere Buben in ihrem Alter auch, belegt eine Konsolfigur aus der Mitte des 15. Jahrhunderts im Sakristeiraum der Nikolauskapelle im Dom. Sie zeigt das Gesicht eines gut genährten Domschülers mit einem Spruchband darunter, das vielleicht den Mesner zitiert, der den Domschüler in der Sakristei erwischt hat und in seine Schranken weist. Der Mesner sagt zum Domschüler sinngemäß: „Schüler, Du hast hier nichts zu suchen, geh‘ in den Chor und singe.“
Heute singen die Domspatzen nicht nur im liturgischen Kontext. Die Regensburger Domspatzen sind UNICEF-Juniorbotschafter für Kinderrechte und 2002 verlieh die Europäische Föderation der Chöre den Domspatzen den Titel „Kulturelle Botschafter von Europa“.
Kulturelle Botschafter sind die Domspatzen auch für ihre Heimatstadt Regensburg. Regelmäßig sind sie in weit entfernten Partnerstädten zu Gast und zum Beispiel in Tempe, Arizona oder im chinesischen Quingdao zu hören.
Ich bin dankbar dafür, dass der berühmte Chor auch anlässlich besonders feierlicher Veranstaltungen der Stadt Regensburg auftritt. Die Domspatzen begrüßen Ehrengäste aus unseren Partnerstädten wie etwa den Oberbürgermeister von Quingdao. Beim 50-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft zwischen Brixen und Regensburg gaben die Domspatzen gemeinsam mit dem Brixener Domchor ein unvergessliches Konzert im Auditorium Maximum der Universität Regensburg.
Liebe Domspatzen, Ihr pflegt unsere Partnerschaften und haltet sie lebendig. Das ist großartig. Vielen Dank auch dafür.
Selbst bei traurigen Anlässen trefft Ihr den richtigen Ton. Euer Gesang tröstet, wie zuletzt beim Trauerakt für unsere verstorbene Oberbürgermeisterin a.D. Christa Meier im Dezember 2024 hier im Reichssaal.
Den Volkstrauertag habt Ihr jedes Jahr für die zentrale Veranstaltung der Stadt Regensburg am Ehrenmal „Unter den Linden“ reserviert. Wer sonst könnte dieses Gedenken besser gestalten als Ihr? Trauer und Aufarbeitung sind auch in der Geschichte der Domspatzen ein wichtiges Thema.
Heute feiern wir 1050 Jahre Domspatzen.
Gleichzeitig erinnern wir uns an das offizielle Ende des 2. Weltkrieges am 8. Mai 1945 und das Ende des Nationalsozialismus in Deutschland. 80 Jahre ist das heute her. Der 2. Weltkrieg und das Unrechtsregime der Nationalsozialisten brachten unendlich viel Leid über die Menschheit, über das Militär ebenso wie über die Zivilbevölkerung vieler Länder.
Auch an den Regensburger Domspatzen ging diese Zeit nicht spurlos vorüber. Der gleichgeschaltete Knabenchor war Adolf Hitler zu Diensten, wie etwa 1933 in Regensburg. Ein bekanntes Foto zeigt die Domspatzen im Braunhemd der Hitlerjugend wie sie 1938 auf dem Obersalzberg für den „Führer“ singen.
Vor gut zehn Jahren hat die Aufarbeitung der Geschichte des Regensburger Domchors während des Nationalsozialismus begonnen. 2017 legte der Regensburger Historiker Roman Smolorz im Auftrag des Vereins der Freunde des Regensburger Domchors ein Werk über die Domspatzen in der NS-Zeit vor. Damit ist ein wichtiger Schritt getan, der mit Sicherheit weitere Studien nach sich ziehen wird.
Spätestens seit 2010 ist öffentlich bekannt, dass es seit 1945 bei den Domspatzen zahlreiche Vorfälle der Gewaltausübung an jungen, schutzbefohlenen Sängern gab. In Studien zur Aufarbeitung wird der Domchor als „abgeschottetes System der Gewalt“ beschrieben. Leider können wir die Uhr nicht zurückdrehen und so gehört das Martyrium vieler Domspatzen auch zur Geschichte des 1050 Jahre alten Chores.
Für die Opfer ist es wichtig, dass sie jetzt mit ihrem Schicksal nicht mehr allein sind. Die konsequente Aufarbeitung und Entschädigung der Missbrauchsfälle können dazu beitragen, den Schmerz für die Betroffenen erträglicher zu machen.
Aus der Kenntnis ihrer Geschichte erlangen Menschen Souveränität, Unabhängigkeit und Stärke. Den Domspatzen wünsche ich genau das. Denn das Bewusstsein für die eigene Geschichte ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Unrecht in Zukunft keine Chance mehr hat.
Und nur so kann der unvergleichlich weiche und zugleich feste, überzeugte und überzeugende Klang des Chores ein Klima der Freude, der Freiheit und des Respekts und auch des Friedens weitertragen.
Liebe Domspatzen, Ihr bereichert das Leben in unserer Stadt.
Danke, dass es Euch gibt.