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Volkstrauertag 2021

Rede von Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer anlässlich der Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag, am 14. November 2021

- Es gilt das gesprochene Wort - 

Ich begrüße Sie herzlich zur heutigen Gedenkveranstaltung anlässlich des Volkstrauertags.

Trauer ist etwas sehr Individuelles, oft auch Verborgenes. Doch den Volkstrauertag begehen wir gemeinsam. Wir halten bewusst inne und gedenken der Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaft.

Der diesjährige Gedenktag steht vor allem im Zeichen der Erinnerung an den verheerenden Angriffs- und Vernichtungskrieg in Ost- und Südosteuropa. Denn dieser begann vor genau 80 Jahren: Nach der Besetzung Jugoslawiens und Griechenlands im April 1941, griff die deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 im sogenannten „Unternehmen Barbarossa“ die Sowjetunion auf breiter Front an – ohne Kriegserklärung und trotz des Nichtangriffspakts zwischen Berlin und Moskau.

Es folgte die Errichtung eines erbarmungslosen Besatzungsregimes und einer Vernichtungsmaschinerie von unvorstellbarem Ausmaß. 5,7 Millionen sowjetische Soldaten gerieten bis Mai 1945 in Kriegsgefangenschaft, mehr als die Hälfte von ihnen überlebten diese nicht.

Die Angriffe des nicht zuletzt rassenideologisch motivierten Feldzugs trafen aber auch gezielt die Zivilbevölkerung. Die deutschen Soldaten richteten unbeschreibliche Verwüstungen an und ermordeten wahllos und mit unfassbarer Grausamkeit Männer, Frauen und Kinder. Allein während der „Leningrader Blockade“ verhungerten mehr als 1 Million Bewohnerinnen und Bewohner in der belagerten Stadt. Über 500.000 Juden, Sinti und Roma, kommunistische Funktionäre und Kriegsgefangene fielen den sogenannten „speziellen Einsatzgruppen“ der SS zum Opfer.

Insgesamt kamen bis Kriegsende auf sowjetischer Seite bis zu 27 Millionen Menschen ums Leben, gut die Hälfte waren Zivilisten.

Die Erbarmungslosigkeit, mit der dieser Vernichtungskrieg geführt und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden, fiel im weiteren Verlauf auf die deutschen Soldaten und die deutschsprachigen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa zurück. Bis Mai 1945 starben knapp dreieinhalb Millionen deutsche Soldaten unter verheerenden Umständen an der Ostfront. Zivilisten mussten flüchten oder wurden vertrieben.

Die Wunden, die in diesem grausamen Krieg geschlagen wurden, haben bis heute Spuren hinterlassen.

Trotzdem tun sich viele von uns „Nachgeborenen“ schwer damit, nachzuvollziehen, was damals geschehen ist. Denn Krieg spielt in unserem alltäglichen Leben heute – zum Glück – keine Rolle mehr. Wir mussten niemals selbst erleben, wie es sich anfühlt, bedroht, verfolgt oder vertrieben zu werden. Und wir können uns nur vorstellen, was es bedeuten muss, Tag für Tag um das eigene Leben und das Leben von Freunden und Verwandten zu fürchten und um sinnlos Ermordete zu trauern.

Diejenigen, die uns davon noch aus eigener Erfahrung berichten können, werden jetzt, 76 Jahre nach Kriegsende, immer weniger. Gemeinsame Gedenktage wie der Volkstrauertag sind deshalb wichtig, um den Bezug zu den Ereignissen von damals nicht zu verlieren, unsere Geschichte präsent zu halten – und daraus für die Zukunft zu lernen.

Der Volkstrauertag ist darüber hinaus aber auch eine humanitäre Verpflichtung:

In vielen Teilen der Welt sind Krieg und Gewalt, sind Bomben, Verfolgung, Mord und Folter bis heute an der Tagesordnung: 82,4 Millionen Menschen waren deshalb Ende des vergangenen Jahres auf der Flucht, und ihre Zahl steigt seit Jahren kontinuierlich.

Viele nehmen große Strapazen auf sich, um in Länder zu gelangen, die ein Leben in Frieden und Wohlstand versprechen. Sie vertrauen ihr Erspartes dubiosen Schleppern an und besteigen zum Sinken verurteilte Boote. Sie lassen ihr Hab und Gut und geliebte Menschen zurück und begeben sich auf eine Reise, deren Ausgang sie nicht kennen.

Es ist auch eine Lehre aus unserer Geschichte, dass wir diesen Menschen und ihren Schicksalen gegenüber nicht gleichgültig sein dürfen und uns für diejenigen einsetzen müssen, die – genau wie wir – nichts weiter wollen, als in Frieden zu leben.

Voraussetzung ist freilich, dass wir unsere Freiheit und den Frieden in unserem Land nicht als selbstverständlich hinnehmen, sondern uns aktiv dafür einsetzen.

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“, mahnte Bertolt Brecht in seinem Theaterstück „Der Aufstieg des Arturo Ui“ – und diese Mahnung ist bis heute aktuell. Immer noch gibt es Ausgrenzung, fallen Hass und Hetze auf fruchtbaren Boden.

Es gibt wieder Parteien, Organisationen und Menschen, die ihre Ideen über andere stellen. Rechtspopulisten und Rechtsradikale auf der Straße und in der Politik schüren Angst und Hass gegenüber Menschen, die eine andere Hautfarbe, einen anderen Glauben, eine andere sexuelle Orientierung haben oder einer anderen Ethnie entstammen.

Wenn wir am Volkstrauertag der Opfer vergangener Kriege und Gewaltherrschaft gedenken, so ist das zugleich ein Aufruf, wachsam zu sein, für unsere demokratischen Werte einzustehen und Hass und Diskriminierung im Keim zu ersticken.

Unsere Gesellschaft lebt von Akzeptanz, Pluralismus, Individualität und Toleranz. Ausgrenzung und Abspaltung dürfen hier keinen Platz haben.

Das sind wir all denen schuldig, an deren Schicksal wir uns am Volkstrauertag erinnern.

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind.

Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.

Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz.

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

der Volkstrauertag lädt dazu ein, sich gegen Krieg und Gewalt zu stellen. Ich danke Ihnen deshalb, dass sie heute an dieser Veranstaltung teilnehmen.

Lassen Sie uns auch in Zukunft gemeinsam aufstehen gegen Unrecht und Willkür! Machen wir uns gemeinsam stark für Frieden und Demokratie und für die Versöhnung zwischen den Menschen und Völkern.

Vielen Dank.