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Verleihung des Regensburger Brückenpreises 2019

Rede von Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer anlässlich der Verleihung des Regensburger Brückenpreises an Dr. phil. Carolin Emcke am Samstag, 2. November 2019, um 20 Uhr im Historischen Reichssaal

- Es gilt das gesprochene Wort. -

Anrede

In einer ihrer Kolumnen für die Süddeutsche Zeitung hat Carolin Emcke im Juli diesen Jahres geschrieben: 

 „Nehmen wir an, eine demokratische Gesellschaft wollte sicherstellen, dass sich die Menschen, die in ihr leben, miteinander verständigen können, dass alle Regionen, alle sozialen Gruppen unabhängig informiert werden über die Welt, in der sie leben, dass also das Wissen über die ökonomischen, kulturellen, ökologischen, politischen Bedingungen ihrer Gegenwart vermittelt wird,dass sie beteiligt werden an der Auseinandersetzung über Gesetze und Regeln, über Bilder und Begriffe, die ihr Zusammenleben regulieren – und sich so ein Gespräch ergibt, das die Demokratie bestätigt und vertieft. Das wäre eine ausgezeichnete Idee.“

In dieser Kolumne kritisierte Carolin Emcke, dass manche der sogenannten Talks im deutschen Fernsehen mehr auf Konfrontation und Polarisierung ausgerichtet seien als darauf, die Debatte über gesellschaftlich wichtige Themen mit Bedacht, Vernunft und guten Argumenten zu führen.

Ja, es ist wirklich eine gute Idee, immer wieder daran zu erinnern, worauf unsere Demokratie aufbaut. Dazu gehört ganz unbedingt das, was wir Streitkultur nennen: Damit meinen wir den durchaus auch mal leidenschaftlichen Austausch von Argumenten, das Ringen um die bestmögliche Lösung. Eine solche Debatte ist nicht auf verbalen Krawall aus, sondern getragen von Fairness – und auch von der Fähigkeit, die eigene Haltung zu überdenken.

Soviel zur Idealvorstellung. Die Realität unserer Tage sieht – Gottlob nicht immer, aber doch leider viel zu oft – anders aus.

Seit nun genau drei Jahren bekommen wir in einer sich steigernden Dramatik vorgeführt, wie ein zum US-Präsidenten aufgestiegener Immobilienmagnat die Bevölkerung seines mächtigen Landes einer tiefgreifenden Spaltung aussetzt.

Und wie er mit dem Ignorieren von beweisbaren Fakten, der gezielten Verbreitung von Unwahrheiten, mit rassistischen Beleidigungen, diplomatischer Grobmotorik und gefährlichen Eingriffen in den Handel die bisherige Ordnung wieder und wieder ins Wanken bringt. Seine schlichte Devise, dass sein Land  auf Biegen und Brechen vor allen anderen kommen müsse, hat bereits in weiteren Ländern Anhänger gefunden – auch in unserer europäischen Nachbarschaft, und in Ansätzen auch bei uns.

Das, was sich im Großen auf Teilen der politischen Weltbühne abspielt, erleben wir zunehmend auch in unserer innenpolitischen Entwicklung – wobei sich der rechte Rand vielfach einer sinnvollen Debatte verweigert, sich als Opfer von Meinungsunterdrückung geriert und dabei doch andere Meinungen nicht gelten lässt.

Ich bin besorgt darüber, dass sich die Diskussion, wie wir leben, wie wir zusammenleben wollen, in einen erbitterten, teils unversöhnlichen Streit verwandelt, in dem nur noch der eigene Standpunkt zählt und das Gegenargument nichts gilt. Die Zutaten dazu heißen: Vorurteil, Ablehnung, Ausgrenzung, offene Beleidigung, Verunglimpfung, Hass und Gewalt – begleitet von einem offen nationalistischen Grundrauschen. In einem, wie ich finde, schon bedenklichen Ausmaß werden mühsam errungene Übereinkünfte unseres Zusammenlebens ignoriert oder bewusst abgelehnt.

Dabei spielt die Frage, wie sich Menschen heute informieren, eine sehr zentrale Rolle. Die Bedeutung von Zeitungen, Magazinen, Fernsehen und Radio für die Meinungsbildung ist bei weitem nicht mehr so hoch wie noch vor zehn Jahren. Wozu Geld für ein Abonnement ausgeben, wenn Informationen im Internet kostenlos zu bekommen sind?

Freilich verbunden mit der Gefahr, dass da sehr häufig nicht sorgfältig recherchierende Journalisten zugange sind, sondern Produzenten von mehr oder minder raffiniert gemachten Falschnachrichten.

Zudem sorgen in den sogenannten sozialen Medien Algorithmen dafür, dass den Nutzern immer wieder Informationen zum gleichen Themenspektrum angeboten werden. Wer einmal in der Fakenews-Blase steckt, der bleibt automatisch darin. All das entzieht einem vernünftigen Dialog über Themen, die unsere Gesellschaft bewegen, allmählich den Boden, weil die Grenzen zwischen Wahr und Unwahr zu verwischen drohen. So entstehen in unserem ganz persönlichen Lebensumfeld Gegensätze, die neu für uns sind und die uns vor die drängende Frage stellen, wie wir damit umgehen sollen. Wie können wir das Trennende überwinden?

Um Antworten auf diese Frage zu finden, sind Stimmen nötig, die energisch die Überzeugung vertreten, dass ein friedliches, erfolgreiches Zusammenleben nur im beständigen Dialog, nur im Miteinander zu schaffen ist. 

Für die Ehrung von Menschen, die sich für dieses große Ziel einsetzen, hat der Stadtrat von Regensburg im Jahr 1995 den Brückenpreis gestiftet. Er wird an Persönlichkeiten verliehen, die sich in besonderem Maß um die Überbrückung politischer, nationaler, wissenschaftlicher, sozialer, kultureller oder religiöser Gegensätze verdient gemacht und Brücken für die Zukunft gebaut haben.

Zusammen mit dieser Auszeichnung vergibt die Stadt eine Bronzeskulptur, die Johannes von Nepomuk darstellt. Er gilt in unserer Heimatregion und weit darüber hinaus als Schutzpatron und Brückenheiliger. Diese Bronzefigur ist eine Besonderheit: Sie zeigt einen doppelten Nepomuk – so, wie er als Granitfigur nördlich von Regensburg in der kleinen Stadt Schönsee im deutsch-tschechischen Grenzgebiet auf einer Brücke zu finden ist. Dort neigt sich der eine Nepomuk nach Westen, nach Bayern – der andere beugt sich Böhmen im Osten zu.

Diese einzigartige Darstellung erinnert an die bewegte Geschichte unserer Region, und sie ist ein Sinnbild dafür, wie wichtig es ist, nicht nur den eigenen Standpunkt zu sehen, sondern auch den des Nachbarn.

Ein weiteres Symbol für die Verleihung unseres Preises ist die Steinerne Brücke, eines der großen Wahrzeichen Regensburgs. Mit ihren fast 900 Jahren und als eines der ältesten Brückenbauwerke Europas überspannt sie die Donau – diesen zweitlängsten Strom Europas, der wie eine mächtige Lebensader die Mitte mit dem Osten des Kontinents verbindet. Die Lage am großen Strom hat Regensburg den Handel gebracht, und mit dem Umschlag von Waren kamen der gesellschaftliche, kulturelle und politische Austausch.

Regensburg ist es immer dann gut ergangen, wenn der Brückenschlag – im tatsächlichen wie im übertragenen Sinne – intakt war, wenn das scheinbar oder offenkundig Trennende überwunden werden und ein Miteinander gefunden werden konnte. Auch daran erinnern wir mit unserem Brückenpreis.

Die bisherigen Träger unseres Brückenpreises sind

  • der ehemalige polnische Außenminister Professor Wladyslaw Bartoszewski,
  • der frühere Bremer Bürgermeister und spätere EU-Beauftragte in Bosnien-Herzegowina, Hans Koschnick,
  • der Bürgerrechtler und ehemalige tschechoslowakische Staatspräsident Vaclav Havel
  • die beiden deutschen Politiker-Brüder Dr. Hans-Jochen Vogel und Professor Dr. Bernhard Vogel
  • und der ehemalige Staatspräsident der Sowjetunion Michail Sergejewitsch Gorbatschow.

Diesmal überreichen wir diesen für unsere Stadt so wichtigen Preis nicht an eine Persönlichkeit aus dem unmittelbaren politischen Bereich.

Wir überreichen ihn an eine Philosophin, Journalistin, Autorin und Moderatorin, die vielfach ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem Theodor-Wolff-Preis, dem Otto-Brenner-Preis, und dem Lessing-Preis. 2010 war sie Journalistin des Jahres, 2016 wurde sie mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt.

In ihren Arbeiten hat sie immer wieder von Menschen berichtet, die zwischen politische Gegensätze und Kriegsfronten geraten sind. Als Auslandsreporterin erlebte sie die Ohnmacht von Menschen in einer zerstörerischen und zerstörten Umgebung. Sie beschrieb, wie Menschen im Gazastreifen, im US-Gefangenenlager Guantánamo oder in der großen Not Haitis verzweifelt versuchen, den nächsten Tag zu erleben.

In einem Interview mit dem Tagesspiegel im Jahr 2004 sagte Carolin Emcke: „Es gibt diese vergessenen Weltgegenden, und es gibt dort Menschen, die werden nicht repräsentiert, die haben keine Stimme in der Öffentlichkeit.“

Die Stimme von entrechteten, verfolgten, erniedrigten, unterdrückten, von Not und Krieg bedrohten Menschen als Mahnung weiterzutragen – dies ist das bestimmende Thema in zahlreichen Publikationen von Carolin Emcke. Sie kämpft für die Freiheit des Menschen, für die Unantastbarkeit seiner Würde, für seine sexuelle Selbstbestimmung und Selbstfindung. Ihre Reportagen, Essays, Kolumnen und Bücher sind ein Manifest für Frieden, Freiheit, Zusammenhalt und gegen Hass, Diskriminierung, Gewalt und Ausgrenzung. Für ihren großen publizistischen Einsatz für die Verteidigung der Rechte eines jeden Menschen zeichnen wir heute Dr. phil. Carolin Emcke mit dem Brückenpreis der Stadt aus.

Ich freue mich sehr, dass Sie, sehr geehrte Frau Dr. Emcke, zu diesem Anlass heute zu uns nach Regensburg gekommen sind.

Hier, im historischen Reichssaal, ist übrigens vor langer Zeit auch so mancher politische Brückenschlag geglückt. Hier war von 1663 bis 1806 der Immerwährende Reichstag zuhause – ein wichtiges Zentrum europäischer Diplomatie und ein früher Vorläufer des europäischen Parlamentarismus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, freuen Sie sich nun bitte mit mir auf die Laudatio von Prof. i. R. Dr. Dr. h. c. Aleida Assmann. Sie ist Anglistin und Ägyptologin und lehrte an Universitäten in Deutschland, Österreich und den USA. Seit gut 30 Jahren lässt sie sich von ihren beiden eigentlichen wissenschaftlichen Fachgebieten keine Grenzen setzen – sie geht oft weit darüber hinaus. So beschäftigt sie sich insbesondere mit dem kulturellen Gedächtnis – dem kollektiven Erinnern, dem Vergessen, der Aufarbeitung gesellschaftlicher Traumata. Für ihre Arbeiten ist sie vielfach ausgezeichnet und geehrt worden – unter anderem 2018, gemeinsam mit ihrem Mann, dem Ägyptologen Jan Assmann, mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

In zahlreichen Publikationen hat sich die vielbeachtete, hochgeschätzte  Wissenschaftlerin und Autorin nicht nur mit der englischen Literatur beschäftigt, sondern sich auch immer wieder für die Wahrung der Menschenrechte und Menschenpflichten, für ein freies Europa und für die Besinnung auf die großen freiheitlichen, geistigen Errungenschaft unserer Kultur eingesetzt.

Sehr geehrte Frau Dr. Assmann, es freut mich sehr, dass wir Sie als Laudatorin gewinnen konnten.