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Stadtfreiheitstag 2019

Begrüßungsansprache von Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer anlässlich des Stadtfreiheitstages 2019 am 9. November 2019 um 20.00 Uhr im Historischen Reichssaal

- Es gilt das gesprochene Wort. -

Anrede

Wir sind heute hier zusammengekommen, um unseren Stadtfreiheitstag zu feiern. Jedes Jahr im November erinnern wir uns auf diese Weise an die Ernennung Regensburgs zur Freien Reichsstadt. Wir nutzen diesen Anlass seit mehreren Jahrzehnten auch, um Menschen zu ehren, die sich für das Wohl der Stadtgesellschaft einsetzen. Menschen, die sich um ein gutes und friedliches Miteinander verdient gemacht haben und dies immer noch tun.

In diesem Jahr ließ sich leider eine Überschneidung zweier wichtiger Termine nicht vermeiden. Denn am 9. November gedenken wir als Stadt gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde der Opfer des Nationalsozialismus. In diesem Jahr nun fallen der Gedenktag und der Stadtfreiheitstag auf einen Tag. Ist das unglücklich gewählt?

Vielleicht ja, man kann das denken. Vielleicht lässt sich aber auch der Zusammenhang erkennen: Denn wir ehren am Stadtfreiheitstag Persönlichkeiten, die für ein gutes Miteinander und für gelebte Demokratie stehen. Also genau das, was uns vor 81 Jahren so sehr gefehlt hat. Denn heute vor 81 Jahren – in der Nacht vom 9. auf den 10. November brannten in ganz Deutschland die Synagogen. Die Reichspogromnacht war gleichzeitig der Beginn systematischer Verfolgung und Ermordung jüdischer Menschen in Europa.

Lange Zeit hielten wir es in Deutschland für unvorstellbar, dass sich derartige Dinge wiederholen könnten. Doch wenn wir an den antisemitisch motivierten Anschlag von Halle denken, muss uns allen klar werden, dass wir mehr denn je eintreten müssen für Toleranz, Offenheit und Freiheit. Jenen Werten also, die wir mit der Verleihung unserer Auszeichnungen zum Stadtfreiheitstag betonen und bewusst hochhalten.

In Gedenken an die Opfer der Nationalsozialisten und an die Opfer des Täters von Halle, die grausames Leid erfahren mussten, möchte ich Sie nun alle zu einer gemeinsamen Gedenkminute auffordern.

- Schweigeminute -

 Vielen Dank!

Ich möchte Sie nun an den 10. November 1245 erinnern: An jenen Tag, an dem Kaiser Friedrich II. Regensburg zur Freien Reichstadt erhob. Die Stadt unterstand fortan nicht mehr dem Herzog oder dem Bischof, sondern einzig und allein dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Seit 1980 feiern wir diesen für die Geschichte unserer Stadt so wichtigen Akt im Prozess bürgerlicher Emanzipation. Seither haben wir uns diesem Thema aus den unterschiedlichsten Perspektiven angenähert.

Im vorletzten Jahr behandelte Festredner Professor Reinhard Zimmermann die Kultur des europäischen Rechts. Im letzten Jahr erörterte Festrednerin Verena Bentele den Zusammenhang zwischen Inklusion und Freiheit.

Die Festreden zum Stadtfreiheitstag sind ein Spiegel der Fragen, die uns als Stadtgesellschaft, als Bürgerschaft, als Regensburgerinnen und Regensburger beschäftigen, an denen wir arbeiten, die wir durchdringen wollen. Am Stadtfreiheitstag entwickeln wir unsere Auffassung, unseren Begriff von Stadt und Freiheit Jahr für Jahr weiter.

Das ist großartig, denn so sehe ich unsere an historischem Erbe so reiche Stadt am liebsten:

Wenn sie uns zur gedanklichen Auseinandersetzung mit Geschichte animiert, uns Entwicklungen und Ereignisse verstehen lässt und unsere Sinne schärft für die gesellschaftlichen Fragen von heute und morgen. Das ist auch der Grund, weshalb wir die Feierstunde am Stadtfreiheitstag mit Auszeichnungen an verdiente Bürgerinnen und Bürger verbinden,

  • mit den Stadtschlüsseln,
  • mit der Albertus-Magnus-Medaille, die an das theologische und wissenschaftliche Wirken des Dominikaners Albertus Magnus im 13. Jahrhundert erinnert, und
  • mit der Matthäus-Runtinger-Medaille an verdiente Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft.

Wenn wir diese Auszeichnungen vergeben, ziehen wir unsichtbare Linien zwischen den Namenspaten der Preise und den Preisträgern selbst. So halten wir das historische Gedächtnis unserer Stadt lebendig und setzen es in Beziehung zu aktuellen Herausforderungen.

Heute wird Dr. Ulrich Maly dieses Ineinandergreifen von Geschichte und Gegenwart, das Regensburg heute ausmacht, um weitere Aspekte anreichern. Der Titel seines Festvortrags lautet „Kommunale Selbstverwaltung oder Stadtfreiheit – Keimzelle der Demokratie in unserem Land“.

Ich bin sehr gespannt auf die Schlüsse, die einer der großen Experten auf dem Gebiet der Kommunalen Selbstverwaltung anlässlich der heutigen Feier des Stadtfreiheitstags zieht.

Doch lassen Sie mich vorher noch rekapitulieren und vergegenwärtigen, worum es am 10. November 1245 ging. Was bedeutete es, in der Mitte des 13. Jahrhunderts Freie Reichstadt zu werden? Die kaiserliche Urkunde, datiert auf den 10. November 1245, markiert den Endpunkt einer höchst komplexen politischen Entwicklung. Die weltliche und die geistliche Macht, Herzog und Bischof konkurrierten, die alte Ordnung geriet aus den Fugen, eine dritte Macht profitierte: Mit der Erhebung Regensburgs zur Freien Reichstadt triumphierte die Bürgerschaft.  

Im Urkundentext erklärt Friedrich II., dass die Bürger in Regensburg nun Ratsversammlungen abhalten dürfen und dass sie einen Bürgermeister und andere Stadtbedienstete bestimmen können. Der Rat der Stadt wurde Entscheidungsgremium und die städtischen Bediensteten waren angehalten, den Bürgerwillen zu vollziehen. – Im Vergleich zum politischen Rahmen vor 1245 war das ein großer Fortschritt. Kein Herzog und kein Bischof regierten den Regensburgern jetzt noch hinein in ihre Geschäfte. Die Bürgerschaft nahm die politischen Geschicke ihrer Stadt nun selbst in die Hand.

Der politische Machtgewinn folgte der wirtschaftlichen Stärke der wohlhabenden Handelsherren und Gewerbetreibenden. Schließlich hatten sie über Generationen hinweg darauf hingearbeitet. Dass sie große Gemeinschaftsaufgaben stemmen konnten, hatten sie bereits unter Beweis gestellt. Sie hatten den Bau der Steinernen Brücke finanziert und organisiert. – Um welch anspruchsvolle und hoch komplexen Aufgabe es sich dabei handelte, führte uns jüngst die Sanierung dieses Bauwerks eindrucksvoll vor Augen.

Auch der Dom St. Peter, begonnen kurz vor der Ernennung zur Freien Reichstadt, stünde heute vermutlich nicht, ohne das großzügige finanzielle und organisatorische Engagement der Bürgerschaft, ganz zu schweigen vom Rathaus mit diesem Festsaal, in dem wir noch heute die Leistungen jener Patrizierfamilien feiern.

Regensburg war reich, sehr reich. Wohlhabende Familien schmückten ihre Hausburgen mit repräsentativen Türmen. Das waren ihre Statussymbole – je höher umso reicher. Die Stadt hatte sich zu einem der größten Wirtschaftszentren in Europa entwickelt und pflegte Handelsbeziehungen bis nach Kiew, Konstantinopel, Prag oder Venedig. Regensburger Kaufleute handelten mit Gewürzen, Seide und anderen Luxusartikeln.

Die mittelalterliche Weltstadt, stand für Internationalität, Offenheit, Wohlstand und Innovation. Jeder der die Stadt besuchte, sollte das sehen. Im Dunstkreis dieses Wohlstands gediehen Wissenschaft, Kunst und gesellschaftliches Leben.  Als Haus- und Straßennamen sind die Patrizierfamilien bis heute unvergessen. Die Auers, die Runtingers, die Zandts und viele andere Großhändler prägten diese glorreiche Zeit.

Das war die eine Seite der Stadtfreiheit. Die andere beschreibt ein sehr restriktives Bürgerrecht. Ungefähr 20 000 Einwohner zählte die Stadt damals. Das Sagen jedoch hatten circa 2 000 Angehörige von 50 bis 60 Patrizierfamilien. Der allergrößte Teil der damaligen Stadtbewohner kam nicht in den Genuss der Vorzüge, Freier Bürger einer Freien Reichstadt zu sein. Das Gros der Bevölkerung gehörte den abhängigen, dienenden und unselbständigen Unterschichten an.

Tatsächlich hatte das Patriziat kein Interesse daran, möglichst viele an den Entscheidungsprozessen innerhalb des Rathauses teilhaben zu lassen. Der Erwerb des Bürgerrechts setzte Grundbesitz voraus – und Vermögen. Die mitspracheberechtigten wohlhabenden Patrizier blieben also bis auf Weiteres unter sich.

So gesehen war die Stadtfreiheit eben nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer kommunalen Selbstverwaltung unter demokratischem Vorzeichen wie wir sie heute kennen, aber eben ein wichtiger. Interessant scheint mir in diesem Zusammenhang auch, einen Blick auf die Zeit um das Jahr 1980 zu werfen. Damals, vor knapp 40 Jahren begann Regensburg damit, dieses für die Stadtgeschichte so entscheidende Ereignis der Stadtfreiheit alljährlich zu feiern, mit Festrednern und der Verleihung von Preisen. 

Was war das für eine Zeit – 1980?

Regensburg war Universitätsstadt geworden. Bereits 1967 hatte der Lehrbetrieb der vierten bayerischen Landesuniversität begonnen. 1980 hatten also schon ein paar Generationen von Studierenden ihre Abschlusszeugnisse in der Hand. Viele von ihnen blieben in Regensburg. Die Stadt gefiel ihnen. Es herrschte Aufbruchsstimmung. Sie lebten und arbeiteten in Regensburg, belebten die Stadt, gründeten Familien, Kanzleien und Betriebe. Sie erwarben Häuser in der Altstadt. Die historische Bausubstanz hatte an Attraktivität gewonnen. Manch einer gründete mit ehemaligen Kommilitonen eine Bauherren-Gemeinschaft und sanierte ein Altstadthaus. Ohne es bereits zu wissen, leistete er damit seinen Beitrag zum heutigen UNESCO Weltkulturerbe Regensburg mit Stadtamhof.

Vielleicht war er oder sie Mitglied in der Vereinigung Freunde der Altstadt Regensburg. Der 1966 gegründete Verein gehört zu den ältesten Bürgerinitiativen Deutschlands. Seine Mitglieder wehrten sich gegen die Verbreiterung von Straßen in der Altstadt zugunsten des motorisierten Verkehrs. Sie argumentierten: „Der einzigartige Vorzug unserer Stadt ist ihr Jahrhunderte altes, an Kunstschätzen aller Stilepochen so reiches Baugefüge, das unzerstört aus dem Zweiten Weltkrieg hervorging.“

1973 organisierten die Altstadtfreunde das erste Bürgerfest als Fest von Bürgern für Bürger. An einem verkehrsfreien Wochenende feierten Regensburgerinnen und Regensburger auf Straßen und Plätzen und erkannten Schönheit, Lebensqualität und Vielfalt ihrer Stadt. Sie lernten schätzen, was manch einer am Biertisch als „Altes Graffl“ abgewertet hatte und der Abrissbirne preisgeben wollte.

Im gleichen Jahr – 1973 – hatten sich Vertreter des Baureferats mit ihren Kollegen aus Bamberg und Lübeck zur Arbeitsgemeinschaft Historischer Städte zusammengeschlossen, um Erfahrungen in der Altstadtsanierung zu teilen und Prozesse modellhaft zu entwickeln. Sie folgten damit dem damaligen OB Rudolf Schlichtinger. Der hatte folgende Prämisse formuliert: „… das kostbare Erbe erhalten und mit behutsamer Hand den Bedürfnissen der Neuzeit anpassen“.

So unterstützte die Stadt Bauherren und Bauherrengemeinschaften bei ihren Projekten und sanierte eigene Gebäude. Das Alte Rathaus, das Thon-Dittmer-Palais, zahlreiche Wohnhäuser oder den Getreidespeicher „Leerer Beutel“. 1980 wurde letzterer übergeben, mit Veranstaltungsräumen, einem Kino für den Arbeitskreis Film,  dem Jazzclub sowie Ausstellungsräumen und Werkstätten für die Städtische Galerie, die hier Arbeiten regionaler Künstler aus dem 20. Jahrhundert präsentierte.

Die Sanierung der Historischen Altstadt und damit die Beschäftigung mit Denkmalschutz und Geschichte waren omnipräsent und sehr aktuell. Die Altstadt lebte wieder und entfaltete eine besondere Anziehungskraft. Von dieser vitalen Spannung zwischen Geschichte und Gegenwart profitiert Regensburg nach wie vor. – Das macht auch meine Arbeit so interessant und ich danke an dieser Stelle allen Bürgerinnen und Bürgern, die sich einmischen,
Impulse setzen und ihren Beitrag leisten zur Gestaltung ihrer Stadt.

Schlaglichtartig habe ich am Beispiel Altstadtsanierung skizziert, wie eine frühe Bürgerinitiative sich die Freiheit nahm, mitzugestalten und letztlich gemeinsam mit der Verwaltung Lösungen fand.  Bürgerschaftliches Engagement ist heute integraler Bestandteil kommunaler Entscheidungsprozesse. 

Kommunale Selbstverwaltung im Dialog mit einer engagierten Öffentlichkeit. – So verstehe ich Stadtfreiheit heute, wenn Sie mir diese unorthodoxe Interpretation erlauben. Wenn Bürgerinnen und Bürger um das Lebenswerte in ihrer Stadt ringen, dann ist das für mich ein wesentlicher Aspekt von Demokratie. Umso mehr, wenn sie es im öffentlichen Raum tun. Im Gegensatz zur Kommunikation im virtuellen Raum, in Filterblasen und Echokammern, bietet die Stadt einen lebendigen Raum für Begegnung, Austausch und Visionen, für Initiativen und Engagement.

Jedes Jahr am Stadtfreiheitstag entdecke ich neue Facetten der Stadtfreiheit, neue Lesarten jenes mittelalterlichen Rechtsgrundsatzes „Stadtluft macht frei“.

Ich freue mich auf den Festvortrag von Dr. Ulrich Maly mit dem Titel: „Kommunale Stadtverwaltung oder Stadtfreiheit – Keimzelle der Demokratie in unserem Land“.

Kommunale Selbstverwaltung – dieses Thema begleitet Dr. Ulrich Maly seit mehr 30 Jahren. Der studierte Volkswirt und laut Umfrage „beliebteste Oberbürgermeister Deutschlands“ promovierte über das Thema „Wirtschaft und Umwelt in der Stadtentwicklungspolitik“. Nach dem Abschluss eines Studiums war er Geschäftsführer der SPD-Stadtratsfraktion und von 1996 bis 2002 Finanzreferent der Stadt Nürnberg. Seit 2002 ist er Oberbürgermeister seiner Heimatstadt. Außerdem ist Maly Mitglied im Vorstand des bayerischen Städtetags. Von 2011 bis 2017 war er dessen Vorsitzender.
Er ist Mitglied im Präsidium des Deutschen Städtetags und war von 2013 bis 2015 dessen Vorsitzender sowie bis Mitte 2019 Vizepräsident.

Hören Sie Dr. Ulrich Maly nach dem nächsten Musikstück des Holzbläser Quintetts des Orchesters am Singrün.
Vielen Dank den „5 Winds“ für ihr Spiel, das in diesem Saal so wundervoll klingt.

Ihnen, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.