Logo Stadt Regensburg

Maiempfang 2019

Rede von Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer anlässlich des Mai-Empfangs der Stadt Regensburg am 30. April 2019 um 19.00 Uhr im Historischen Reichssaal

- Es gilt das gesprochene Wort. -

Anrede

Dieser Empfang hat Geschichte, meine sehr verehrten Damen und Herren. – Seit den 80er-Jahren lädt die Stadt Regensburg jedes Jahr vor dem 1. Mai Betriebs- und Personalräte sowie Vertreter der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen zu einem Empfang im Historischen Reichssaal ein.

Ein herzliches Willkommen Ihnen allen am Vorabend des 1. Mai. – Dieser Saal ist die gute Stube der Stadt, das Beste, was wir haben. Der Empfang hier zeigt wie wichtig uns der Dialog mit Ihnen ist.

Sie stehen in der Tradition der Internationalen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. 1890 feierte sie zum ersten Mal den Tag der Arbeit in Deutschland. Die Gewerkschafter folgten damit dem Aufruf des Internationalen Arbeiterkongresses in Paris. 100 Jahre nach der Französischen Revolution erinnerten die in Paris versammelten Arbeiter 1889 an die Krawalle am Haymarket in Chicago drei Jahre davor.  Sie erinnerten an diejenigen, die für die Rechte von Arbeitern eintraten. Im Gedenken an die blutigen Vorfälle am in Chicago wählte die Sozialistische Internationale den amerikanischen Movingday als Tag der Arbeiterklasse.

Der Movingday war der 1. Mai und der der Tag im Jahr, an dem Beschäftigungsverhältnisse eingegangen und beendet wurden und Beschäftigte infolge dessen oft ihren Wohnort wechselten. So wurde der 1. Mai zum Tag der Arbeit, um an diesem Tag überall auf der Welt für die Rechte der Arbeiter und – wenige Jahre später – auch Arbeiterinnen einzutreten, für bessere Arbeitsbedingungen und kürzere Arbeitszeiten.

Gemeinsam mit Gewerkschafts-mitgliedern, Personal- und Betriebsräten auf der ganzen Welt feiern wir also morgen wieder, was das gemeinsame Eintreten für bessere Arbeitsbedingungen in mehr als 125 Jahren bewirkt hat. Menschenwürdig leben und arbeiten. Das ist Ihre Forderung, Ihre Losung. Ihr Kommunikations-Instrument sind auch die Kundgebungen am 1. Mai.

In ihren Anfängen kämpften die Gewerkschaften für Arbeitsschutz und geregelte Arbeitszeiten. Der Prozess der Digitalisierung, der Globalisierung, ein wachsender Niedriglohnsektor, der immer noch klaffende Gender Pay Gap oder das Thema Migration stellt Sie heute vor Herausforderungen, denen Sie ebenso engagiert begegnen. Lassen Sie mich an dieser Stelle an wichtige historische Stationen Ihrer Arbeit erinnern.

Seit 1927 gibt es dank des Einsatzes der Gewerkschaften eine Arbeitslosenversicherung.

1933 wurden die Gewerkschaften gleichgeschaltet, ihre Häuser gestürmt, ihr Vermögen beschlagnahmt,
ihr Handeln blockiert.

Nach dem 2. Weltkrieg gestalteten Gewerkschafter Wirtschaft und Gesellschaft mit, in Bayern ab 1947.

Gewerkschafter lieferten die Inhalte für Ludwig Erhards Vision vom „Wohlstand für alle“. Soziale Marktwirtschaft ohne die Gewerkschaften und ihre jährlich wiederkehrende, starke Selbstvergewisserung am 1. Mai? – Kaum möglich.

Sozialpartnerschaft und soziale Marktwirtschaft leben vom Dialog und von der Mitbestimmung.

Die Gewerkschaften argumentierten für die Einführung der dynamischen Rente, engagierten sich für sozialen Wohnungsbau und den Zugang zu Bildung – auch für Arbeiterkinder.

In einem 16-wöchigen Streik legten Metallarbeiter 1956 den Grundstein für die heutige gesetzliche Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. 

Was uns heute so selbstverständlich erscheint, ist erkämpft und hart errungen und in vielen Punkten müssen wir heute feststellen: So manche soziale Errungenschaft rückt aus dem Blickfeld oder geht ganz verloren, wenn man sich nicht immer wieder für sie stark macht.

Der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus stand in den frühen Jahren der Bundesrepublik ganz oben auf der Agenda. Im Zuge zunehmender Privatisierung öffentlicher Wohnungsunternehmen haben Städte und Gemeinden ihre Immobilien mit Sozialbindung versilbert. Heute wünschen viele, das nicht getan zu haben. Mit unserer Wohnungsbauoffensive steuern wir dagegen. Unter dem Motto „schneller günstigen Wohnraum schaffen“ wollen wir den Wohnungsmarkt in Regensburg entspannen und vor allem mehr Wohnraum für Einkommensschwächere zur Verfügung stellen – getreu Ihres Leitsatzes:

Menschenwürdig leben und arbeiten

Liebe Betriebs- und Personalräte, liebe Vertreter der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen, wenn ich mir die Reihe von Plakaten vor vergegenwärtige, mit denen Sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten für die Kundgebungen am 1. Mai geworben haben, dann mit allergrößtem Respekt. Sie haben sich für Sozialen Frieden und Soziale Gerechtigkeit eingesetzt, für mehr Beschäftigung. Sie haben in ihren Begriff von Solidarität diejenigen miteinbezogen, die in den letzten Jahren als Schutz suchende Flüchtlinge zu uns kamen. Der 1. Mai hat sich vom Kampftag zum Feiertag gewandelt, weil sich Menschen geöffnet haben, Widerstand und Dialog nicht als unversöhnliche Gegensätze sahen.

Mit seiner Sozialgesetzgebung hatte Reichskanzler Bismarck am Ende des 19. Jahrhunderts den Sozialdemokraten den Wind aus den Segeln genommen. Es ging nicht immer nett zu. Der Kampf der Arbeiterklasse forderte Tote und Verletzte. Die Regierenden der Kaiserzeit taten sich schwer mit den Forderungen der „Roten“. In der Weimarer Republik unternahm Deutschland erste Gehversuche in Sachen Demokratie und brachte als eine ihrer größten Errungenschaften das Frauenwahlrecht auf den Weg. – Zwölf lange Jahre blockierte in der Folge die Gleichschaltung der Nationalsozialisten diese Entwicklung.

Ich finde, wir können dankbar sein über den Grad von Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung, den wir erreicht haben, trotz der Rückschläge, die wir immer wieder verkraften mussten und heute noch verkraften müssen. Es ist mir wichtig, die Geschichte von Sozialpartnerschaft und demokratischer Mitbestimmung heute im Historischen Reichssaal unseres Alten Rathauses zu streifen. Ich möchte uns allen vergegenwärtigen, was da in fast 130 Jahren alles passiert ist. Unsere regelmäßige Begegnung am Vorabend des 1. Mai in diesem Saal bedeutet mir viel.

Und der eine oder die andere von Ihnen stellt sich jetzt sicher die Frage: Passt dieser Ort mit all seiner feudalistischen Prägung? Dieser Saal, in dem einst der Vertreter des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit den Gesandten der Fürsten- und Erzbistümer konferierte? Impliziert der 1. Mai mit der Forderung der Arbeiterbewegung nach sozialer Gerechtigkeit und Selbstbestimmung nicht genau das Gegenteil von Unterdrückung und Knechtschaft, wie wir sie aus der rigiden Ordnung der Ständegesellschaft kennen? 

Ja, ich gebe Ihnen Recht. So ist es und doch verbinde ich diesen Ort auch mit politischen Aspekten, die mir gefallen. Ich finde, das Beste am Historischen ist, dass es uns den Wandel lehrt. Nicht zuletzt die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften zeigt, dass sich Widerstand und Solidarität lohnen.

Der 1. Mai ist ein gutes Beispiel dafür:  Einst Kampftag der Arbeiterklasse ist er heute Feier- und Gedenktag. Nicht dass es nichts mehr zu erkämpfen gäbe für bessere Arbeits- und Lebens-bedingungen, mehr Demokratie und Toleranz, doch es gibt auch etwas zu feiern, wie ich ausgeführt habe.  

Zurück zu diesem Ort.

Hier fand, hervorgegangen aus den mittelalterlichen Reichsversammlungen, von 1663 bis 1806 der so genannte Immerwährende Reichstag statt, die Ständeversammlung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Diese Versammlung spannte aufgrund personeller Verflechtungen ein weites Netz über ganz Europa. Schweden, Dänen, Spanier und andere hatten einen Sitz im Immerwährenden Reichstag.

Der Brite William Penn, einst Gründer der Kolonie Pennsylvania in den USA, erkannte im Regensburger Reichstag das Modell eines europäischen Parlaments. Unter dem Titel „Essay towards the Present and Future Peace of Europe“ hatte er 1693 seine Friedensutopie formuliert. Friede in Europa bedeutete für Penn: freier Handel, Ansiedlung von Industrie, allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung durch eine verbesserte Auftragslage sowie eine Förderung der allgemeinen Wohlfahrt und Gastlichkeit. Dagegen verstärke der Krieg neben Tod, Gräueln und Verelendung vor allem die Gier und Hamsterei der Wohlhabenden, zwinge den Armen ein Leben als Soldaten oder Diebe auf und ziehe keinerlei volkswirtschaftlichen Nutzen nach sich. Gerechtigkeit sei für Penn die Grundvoraussetzung für den Frieden.

Jean-Jaques Rousseau, Philosoph, Naturforscher und Pädagoge, wünschte sich 1754 einen Europäischen Bundestag als Kontrollorgan des Friedens in Europa. Und wissen Sie, welche Stadt er sich dafür vorstellen konnte? – Regensburg.   

Um diesen Ort, den Historischen Reichssaal und den Immerwährenden Reichstag zu Regensburg ranken sich also Ideen, die es sich lohnt weiterzudenken.

Historiker, Soziologen und Politikwissenschaftler der Universität Regensburg haben das zu Beginn der 1990er-Jahre getan. Das Ende des Kalten Krieges stellte Europa vor neue Herausforderungen. Die Wissenschaftler wählten genau diesen Ort für ihr Europa-Kolloquium im Alten Reichstag. Sie analysierten Geschichte, um daraus Erkenntnisse für die zukünftige Weichenstellung in Europa abzuleiten und für den europäischen Prozess nutzbar zu machen. Inzwischen haben sich die politischen Vorzeichen wieder verändert und dieses wissenschaftliche Kolloquium gibt es nicht mehr. 

Aber Europa gibt es noch, aller nationalistischen Bestrebungen zum Trotz.

Mit Blick auf die Europa-Wahl am 26. Mai lautet Ihr Slogan zum 1. Mai: „Europa – jetzt aber richtig“. Unter diesem Motto fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund gute Arbeit und ein soziales und demokratisches Europa. Ich glaube Europa braucht alle gesellschaftlichen Kräfte, um sich zu stabilisieren und im Gegenzug Stabilität bieten zu können. Globalisierung, Klimawandel und Digitalisierung kennen keine Staatsgrenzen. Kein EU-Mitgliedsstaat kann diese Bereiche alleine regeln. Die EU ist die Antwort auf viele Herausforderungen, die sich uns heute stellen.

Bei der Europawahl 1994 lag die Wahlbeteiligung in Deutschland bei gut 60 Prozent, 2014 dagegen nur noch bei 48 Prozent. Auf der anderen Seite denken laut einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage 76 Prozent der Deutschen, dass ihr Land von der EU-Mitgliedschaft profitiert. Um besser über Europa informieren zu können und die Frage zu beantworten: „Was bringt mir Europa?“ richtete das Europäische Parlament eine Website ein: „what-europe-does-for-me.eu

Für Gewerkschafter wird dort erklärt wie das EU-Recht dazu beigetragen hat, das Mitspracherecht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Bezug auf ihre Arbeitsbedingungen zu stärken. Gewerkschafter sind im Europäischen Wirtschaft- und Sozialausschuss vertreten. In der „Gruppe Arbeitnehmer“ äußern sich die Vertreter aus über 80 nationalen Gewerkschaftsverbänden zur Sozialpolitik in der EU. Ihre Kernanliegen sind Vollbeschäftigung sowie bessere Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in Europa.

In einigen Punkten nahm William Penn, jener Essayist aus dem 17. Jahrhundert in seiner Friedensutopie das Europa von heute vorweg. Gerechtigkeit war für ihn die Grundvoraussetzung für den Frieden.  Und immerhin herrscht seit über 70 Jahren in den Ländern der Europäischen Union kein Krieg mehr.

Engagieren Sie sich weiter für Europa, denken Sie an Penn und wählen Sie mehr sozialen Zusammenhalt über Ländergrenzen hinweg.

Für morgen wünsche ich Ihnen einen Mut machenden 1. Mai, der klar stellt: Der Zusammenhalt in Europa ist keine Selbstverständlichkeit und muss immer wieder neu gestaltet werden. Setzen Sie mit Ihrer Wahl ein Zeichen!

Vielen Dank.