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Volkstrauertag 2018

Rede von Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer anlässlich der Gedenkveranstaltung zu 100 Jahre Ende des Ersten Weltkrieges am 18. November 2018 am Ehrenmal „Unter den Linden“ im Stadtpark

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede

am 11. November 1918 endete der Erste Weltkrieg. Das Deutsche Kaiserreich unterzeichnete den Waffenstillstand und besiegelte damit seine Niederlage. Was so sachlich und nüchtern klingen mag, ist jedoch in seiner Gesamtheit für unsere heutige Gesellschaft, die es gewohnt ist in Friedenszeiten zu leben, nur schwer zu fassen.

Dieser Unterzeichnung des Waffenstillstandes gingen mehr als vier Jahre grausamer Krieg voraus. In dem bis zu diesem Zeitpunkt größten und umfassendsten Krieg der Geschichte waren 40 Staaten verstrickt und fast 20 Millionen Menschen verloren ihr Leben. Davon waren circa die Hälfte Zivilisten.

Um diese Zahlen zu verdeutlichen: der Freistaat Bayern zählt heute circa 13 Millionen Menschen.

Getrieben von imperialistischem Größenwahn und der fanatischen Idee, die eigene Nation über andere zu stellen, wurde die Bevölkerung für den Krieg begeistert. Das sinnlose Sterben begann und veränderte die gesamte Welt. Allein in der Schlacht um Verdun, einer Schlacht, die mit dem „Material“ Mensch gefochten wurde, starben mehr als achthunderttausend Menschen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute vor 100 Jahren lag Europa in Trümmern. Unsägliche Trauer lag wie ein bleierner Mantel über den Überlebenden. Die Menschen auf der gesamten Welt waren die großen Verlierer. Wie aus einem Munde erging der Ruf „Nie wieder!“ durch die zerstörten Länder und Nationen. “Nie wieder Krieg!“ „Nie wieder dieses sinnlose Töten und Sterben.“

Und dennoch sollte es nur knapp zwanzig Jahre dauern bis eine noch größere Tragödie, ein noch schlimmeres Morden über die angeblich zivilisierte Welt hereinbrach.

Meine Damen und Herren, wir gedenken heute unserer Toten und dürfen dabei nicht vergessen, was auf dieses sinnlose Blutvergießen des Ersten Weltkrieges folgte. Die Ergebnisse und Folgen des Ersten Weltkrieges gipfelten letzten Endes in der Machtergreifung der Nationalsozialisten, dem daraus resultierenden Holocaust und in der Apokalypse des Zweiten Weltkrieges.

Die Situation der Bevölkerung und die Umstände der damaligen Zeit ausnutzend, wussten die Nationalsozialisten wie sie die Menschen mit ihrer verfehlten Weltanschauung und ihrer kruden Ideologie einfangen konnten. Mit einfachen und klaren Feindbildern hetzten sie das Volk auf. Mit angeblich einfachen Lösungen für komplexe Probleme machten sie sich die Menschen gefügig. Und wieder entbrannte ein Weltkrieg, der die Schrecknisse und die Anzahl der Opfer im Vergleich zu denen des Ersten Weltkrieges in den Schatten stellte und dessen Ausmaße wir bis heute noch nicht gänzlich begreifen können oder gar aufgearbeitet haben.

Warum ist es so wichtig, sich dieser Tatsachen bewusst zu werden? Zum einen, weil es für die Hinterbliebenen und nachfolgenden Generationen wichtig und tröstend ist, ihrer verstorbenen Angehörigen zu gedenken. Zum anderen, weil wir als Gesellschaft nicht aufhören dürfen, unsere Geschichte sowohl im historischen Kontext zu sehen als auch die Ergebnisse dieses Geschichtsbewusstseins in unsere heutige Zeit zu transportieren.

Auch heute haben wir wieder Parteien, Organisationen, Menschen, die ihre Ideen über andere stellen. Die denken, ihre Nation sei die bessere und müsse zuerst kommen. Bei dieser Definition und Version von Nation geht es nicht um Vaterlandsliebe, nicht um Heimatverbundenheit und nicht um Patriotismus. Es geht nicht um Traditionen, um Kultur oder um die eigene Herkunft und Wurzeln. Nein, diese Menschen folgen der Idee eines Nationalismus, der die eigene Nation glorifiziert und andere herabsetzt. Zudem möchten sie am liebsten die ganze Welt nach den eigenen Vorstellungen formen.

Dass dies nicht funktionieren kann, hat  die Geschichte schon oft bewiesen. Dieser Nationalismus führt zu Abgrenzung und Abspaltung. Er führt zu Hass und Gewalt. Und schlussendlich auch dazu, dass neue Pogrome und Kriege drohen, denen erneut unzählige Menschen zum Opfer fallen könnten.

100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges scheinen so viele Menschen trotz all der weiteren Kriege und gewaltsamen Konflikte, die seit 1918 auf dieser unserer Welt geschahen, noch nicht verstanden zu haben, was Krieg bedeutet und welche Auswirkungen er hat.

Krieg betrifft nicht nur die Soldaten der kämpfenden Nationen oder Konfliktparteien. Er betrifft die Angehörigen der Soldaten, Kinder, Väter, Mütter, Geschwister, Familien. Er betrifft die gesamte soziale Struktur der Gesellschaft. Er betrifft die gesamte Welt und er betrifft auch uns.

Wenn Menschen vor Krieg und seinen Begleiterscheinungen, wie Hunger, Verfolgung, Vergewaltigung und Krankheit zu fliehen versuchen, wer darf diesen Menschen die Hilfe verweigern? Was passiert gerade in einer Gesellschaft, in der auf Demonstrationen „Absaufen, absaufen“ skandiert wird und gemeint sind Menschen, die über das Meer fliehen?

Meine Generation und die meiner Kinder haben das unwahrscheinliche Glück, ohne Krieg aufzuwachsen und in Frieden leben zu dürfen. Dieses Glück sollten wir nicht als selbstverständlich hinnehmen, sondern uns immer bewusst vor Augen halten, welche Ereignisse dieser nun langen Friedenszeit in unserem Land vorausgingen.

Gerade heute am Volkstrauertag gedenken wir der Toten der Kriege. Wir gedenken der betroffenen Familien. Wir denken an die Soldaten und die zivilen Opfer. Wir gedenken der Väter, Mütter, Kindern, Schwestern und Brüdern. Wir denken an all das, was Krieg und Verfolgung bedeuten können, denn im Krieg gibt es keine Gewinner, sondern nur Verlierer.

Lassen Sie uns als Gesellschaft miteinander verhindern, dass Rattenfänger künftig wieder Hass und Hetze in unseren Reihen säen. Lassen Sie uns alle gemeinsam engagiert dafür arbeiten, dass die Spaltung der Gesellschaft, die von einigen betrieben wird, nicht in Gewalt umschlagen und sich weiter ausbreiten. Lassen Sie uns zusammen einstehen und der Welt zeigen, dass wir tatsächlich aus unserer eigenen Geschichte gelernt haben.

Es ist unserer aller Pflicht dafür zu sorgen, dass wir und folgende Generationen an Tagen wie diesem und an jedem anderen Tag nicht vergessen, was Krieg bedeutet. Nutzen wir unsere Trauer, um zu gewährleisten, dass „Nie wieder Gewalt! Nie wieder Krieg“ mehr als nur eine Floskel in unserem Vokabular sein wird.