Passend zum Rahmenthema „Das Menschenbild im Wandel der Zeit“ besuchte das W-Seminar Kunst zusammen mit den Lehrkräften Maresa Müller und Andrea Heusinger die Biennale in Venedig. Der diesjährige Titel Stranieri Ovunque – Fremde überall, ist einer seit 2004 existierenden Werkreihe des französischen Künstlerkollektives Claire Fontaine entnommen. In größeren Zeitungen oftmals zerrissen, machten wir uns ein eigenes Bild von der Auswahl des brasilianischen Kurators Adriano Pedrosa, der Künstler aus 46 verschiedenen Ländern nach Venedig brachte, worunter einige diesmal gänzlich unbekannt waren. Migration, Ausgrenzung und Fremdsein wurden für uns in den Ausstellungen in so variationsreich beleuchteten Facetten gezeigt und thematisiert, dass sie für unser Seminar wunderbare Denkprozesse zum Laufen brachten und ebenso für die künstlerische Praxis Impulse gaben.
Bei den Länderbeiträgen im Giardini-Areal überzeugte der australische Pavillon mit Archie Moore, -dessen Arbeit mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde- mit seiner raumfüllenden, zeichnerischen Arbeit kith and kin, die er anhand von Ahnentafeln und Archivmaterial entwickelte und die nicht nur die Verbrechen an den Aborigines sowie die Konsequenzen der Kolonien in einem riesigen Stammbaum sichtbar macht, sondern Herkunft an sich in Frage stellt. Mit ganz anderen Mitteln wurde im amerikanischen Pavillon gearbeitet, den zum ersten Mal ein indigener Künstler gestalten durfte und der uns mit „The space in wich to place me“ in einen gewaltigen Farbenrausch fallen ließ. Jeffrey Gibson der von den Cherokees abstammt, agierte mit Videoinstallation, bunten Flaggen, Malereien mit geometrischen Mustern, knallroten Sockeln und farbstarken Perlenstickereien an Objekten, die auf das Handwerk indigener Stämme zurückzuführen sind. Lebenslang wurden seine Farbexplosionen bemängelt, aber nun sind sie auf der Biennale vertreten. Düster war es hingegen im Deutschen Pavillon mit dem Ausstellungstitel „Tresholds“ in dem Ersan Mondtag mit der Lebensgeschichte seines Großvaters, der als türkischer Gastarbeiter nach Deutschland kam, ein großes „Monument eines unbekannten Menschen“ errichtete. Umgeben ist die Bauform mit Parkett aus einem ehemals ostdeutschen Dorf, das auf die Arbeiterschaft der ehemaligen DDR Bezug nimmt. Beide Gruppen kommen für ihn im westdeutschen Diskurs eher als „die Anderen“ vor und so will er auch dem heutigen Arbeiter im Industriezeitalter, der aus den verschiedensten Ländern stammt, ein Erinnerungszeichen setzen und zusammen mit Yael Bartanas Raumschiffinstallation mit Formen des kabbalistischen Lebensbaumes die Frage nach der Zukunft stellen. Beeindruckend waren ebenso die Nebenausstellungen in der Stadt und auch die Ausstellungen der Mongolei mit einem Spinnenskelett oder die Gemälde von Irina Eldarova aus Aserbeidschan, die in klassischer Malweise uns auch inhaltlich sehr berührte oder Yinka Shonibare mit seinem Flüchtlingsastronauten. Zahlreiche Künstler, die bei uns einen bleibenden Eindruck hinterließen, würden sich hier weiter aufführen lassen…
Wenig Zeit blieb leider für ein würdevolles Abschiednehmen von der Lagunenstadt am Sonntagmorgen: Fünf Stunden früher mussten wir im Morgengrauen mit Vaporetto und Bus nach Mestre „fliehen“, da ein Bahnstreik in ganz Italien alle staatlichen italienischen Züge zum Stillstand zwang. Zwar mit Verspätung, aber dennoch vor Mitternacht kamen wir wie durch ein Wunder (nur ein einziger Zug fuhr Richtung Verona) in Regensburg wieder heil an.