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Feenstaub und Klanggewalt

Aufzeichnungen über die bisher erreichten Schlussapplaus-Dezibel-Zahlen in der seit dem Wiederaufbau über 150-jährigen Geschichte des historischen Neuhaussaals in Regensburg gibt es natürlich nicht. Doch am vergangenen Freitagabend konnte man kurz vor 22:00 Uhr sicherlich noch draußen auf dem Arnulfsplatz die rekordverdächtigen Begeisterungsstürme des Publikums wahrnehmen, während drinnen die Kronleuchter und der Parkettboden bebten. 120 Schülerinnen und Schüler hatten über zwei Stunden lang musikalisch und körperlich alles aus sich herausgeholt - mehr als deutlich zeigten die gut 400 Zuschauerinnen und Zuschauer, wie sehr sie das Frühlingskonzert 2020 des Von-Müller-Gymnasiums begeistert hatte.

Mit dem Jazz-Klassiker „Take five“ eröffnete die Big Band unter Leitung von Sebastian Glas schwungvoll den Abend, gefolgt von den thematisch zum Valentinstag passenden Balladen „My funny Valentine“ (Luis Hollnberger mit der perfekten Balance aus Emotion und Kitsch am Flügelhorn) und „Shallow“ – letztere aus dem erfolgreichen Film „A star is born“, gefühlvoll interpretiert von Jana Kinas und Nicolas Muje. Im inhaltlichen Kontrast dazu stand der Abschluss des ersten Sets, „Thriller“ von Michael Jackson, bei welchem David Sigel das Publikum mit einem Saxophon-Solo kurzfristig aus der Kuschel-Atmosphäre riss.

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Schulchor © Laura Kopold

Diese griffen Wolfgang Strobel und sein Schulchor in der Folge jedoch sofort wieder auf und spannten den ersten inhaltlichen Bogen des Abends weiter: Mit „Moon river“ und „Wishing you were somehow here again“ demonstrierten die jungen Sängerinnen und Sänger in homogenen Klangfarben ein beeindruckendes Einfühlungsvermögen in die intime Stimmung des Film- bzw. Musical-Songs. Der Höhepunkt der Vokalisten sollte allerdings noch kommen: Am Klavier von Eva Herrmann begleitet, malten die jungen Künstler bei John Rutters „For the beauty of the earth“ die (vergängliche und gefährdete) Schönheit unserer Erde akustisch in den Raum – „Fridays for future“ auf Musikalisch, sozusagen.

Dass sich die VMG-Schülerinnen und Schüler auch hervorragend auf „ältere“ Musik verstehen, zeigte anschließend eine Darbietung des 1. Satzes des Klarinettenkonzertes von Carl Maria von Weber aus dem frühen 19. Jahrhundert, die die Münder der Zuhörer offenstehen ließ. Impulsiv geleitet von Rupert Sommer beeindruckten das hervorragende und feinfühlige Kammerorchester sowie der famose Solist David Sigel an der Klarinette. Wie aus einem Guss agierten die Musiker, selbst sehr anspruchsvolle Passagen klangen spielerisch leicht – ein absoluter Leckerbissen, auch für weniger Klassik-affine Besucher, und völlig zurecht euphorisch gefeiert. Von dieser Euphorie ließen sich sogar die Künstler anstecken, sodass spontan ein schwungvolles „I don’t mean a thing“ auf die Bühne geswingt wurde – swingend notwendig, um der Freude Ausdruck zu verleihen.

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Schulchor und Streichorchester © WeMa

Mit Leonard Bernstein und Steve Dobrogosz bildeten dann wieder zwei moderne bzw. zeitgenössische Komponisten den Abschluss des ersten Teils: Den zweiten Satz aus dem „Divertimento for orchestra“ von Erstgenanntem – ein Walzer im 7/8-Takt – interpretierte das Streichorchester, keine Spur beeindruckt von der ungewöhnlichen Taktart, sehr gefühlvoll und sorgte so für einen ruhigen, bezaubernden musikalischen Moment. Einen sehr emotionalen Moment hielt die traditionelle Verabschiedung der Zwölftklässler bereit: Sie wurden von ihren Ensembleleitern persönlich mit Rosen verabschiedet und bedanken sich natürlich musikalisch mit dem perfekt passenden ABBA-Klassiker „Thank you for the music“. Mit der Zusammenführung von Chor, Klavier und Streichern zeigten die jungen Künstler, dass die musikalische Arbeit am VMG sehr viele Facetten und Kombinationsmöglichkeiten bereithält. Die eine ganz eigene Rhythmus- und Klang-Sprache innehabenden Introitus und Kyrie aus der Jazz-Messe des Zeitgenossen Dobrogosz fanden sowohl bei Ausführenden als auch beim Publikum sehr großen Anklang.

Nach der Pause wurde mit der Filmmusik ein neues Genre des Abends geöffnet – die prächtig harmonierende Concert Band unter der Leitung von Veronika Frieß würdigte den fantastischen Komponisten Ennio Morricone in einem Medley seiner bekanntesten Melodien aus verschiedenen Western-Filmen, etwa „Zwei glorreiche Halunken“ oder „Spiel mir das Lied vom Tod“: Klanggewaltig und Gänsehaut verursachend ließen Bläser und Schlagwerk alte Saloons vor dem geistigen Auge entstehen, abgehalfterte Cowboys durch die Prärie reiten oder sich Helden und Schurken duellieren.

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Sinfonieorchester © WeMa

Zwei – im wahrsten Sinne des Wortes – Klassiker hielt anschließend der vorletzte Programmpunkt des Abends mit einem sich aus dem morgendlichen Frühlingsnebel erhebendem „An der schönen blauen Donau“ und dem schmissigen „Radetzky-Marsch“ von Johann Strauss Sohn und Vater bereit. Glückselig schunkelte und klatschte das begeisterte Publikum im (oder auch mal neben dem) Takt und genoss im passenden Ambiente des Neuhaus-Saales ein Stückchen Wiener Flair, stilecht und – wie es sich gehört – mit einem angedeuteten pathetischen Augenzwinkern präsentiert vom Sinfonieorchester.

Dass das Sinfonieorchester jedoch auch andere als die klassischen Saiten anschlagen kann, zeigte es beim großen Finale des Abends. Angeleitet von Simon Pawellek lieferte es ein farbenfrohes und abwechslungsreiches Potpourri aus verschiedensten Serien- und Filmmelodien ab – etwa aus dem „Tatort“, „Heidi“, „James Bond“ oder der „Sendung mit der Maus“. Die von den Musikern offen ausgelebte gute Laune schwappte dabei sofort auf das Publikum über, welches munter „mitriet“, das Geschehen auf der Bühne mit Äußerungen der Freude und der Überraschung kommentierte sowie zwischendrin sogar vielstimmig ein „Ghost—bus-ters“ in den Raum schmetterte.

Dem Volksmund folgend, der besagt, dass Applaus das Brot des Künstlers sei, kann man – um den Rahmen zum Beginn dieses Textes zu spannen – unumwunden festhalten, dass die jungen Musikerinnen und Musiker an diesem denkwürdigen Freitagabend mehr als satt geworden sind. Und dem sicherlich tagelang anhaltenden Grinsen der Schülerinnen und Schüler nach zu urteilen, war es nicht nur ein rekordverdächtig sättigendes, sondern noch dazu ein überaus schmackhaftes Mahl.

Text: PaSi