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100 Jahre Eingemeindung nördliche Stadtteile

-Es gilt das gesprochene Wort-

Rede von Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer anlässlich „100 Jahre Eingemeindung der nördlichen Stadtteile“ am Donnerstag, 11. April 2024, 19 Uhr im Historischen Reichssaal

Liebe Regensburgerinnen,
liebe Regensburger,
liebe Festgäste,

herzlich willkommen im Historischen Reichssaal, herzlich willkommen zu einem ganz besonderen Jubiläum.
Heute feiern wir 100 Jahre Eingemeindung der nördlichen Stadtteile.

Seit 100 Jahren gehören

  • Brandlberg-Keilberg
  • Konradsiedlung-Wutzlhofen
  • Ober- und Niederwinzer mit Karger
  • Reinhausen
  • Sallern-Gallingkofen
  • Schwabelweis
  • Stadtamhof
  • Steinweg-Pfaffenstein

sowie

  • Weichs

zu Regensburg. Ein Meilenstein in der Stadtgeschichte.

Kein Wunder, dass eine Reihe von Legenden im kollektiven Gedächtnis unserer Stadt davon handeln, dass der Norden Regensburgs nicht immer dazugehörte. Diese kleinen Geschichten werden in einer Weise vorgetragen, die uns sagt: Früher war nicht alles besser.

Dazu gehört das bekannte Redewendung: „Über d’ Bruck wird ned g’heirat.“ – Wer sie heute bemüht, tut das mit einem Augenzwinkern und schüttelt den Kopf dabei. Heute können wir es uns gar nicht mehr vorstellen, dass Keilberg, Stadtamhof, Steinweg, Reinhausen, Sallern, Schwabelweis, Weichs und Winzer außerhalb der Stadtgrenzen lagen.

Die am Eingang ausgestellte Schützenscheibe, die uns dankenswerter Weise von der Schützengesellschaft Diana Reinhausen zur Verfügung gestellt wurde, zeugt von der Auflösung der damaligen Gemeinde Reinhausen im Jahre 1924. Sie ist ein stiller Zeitzeuge des größten Eingemeindungsprozesses von Regensburg vor 100 Jahren.

Die Eingemeindung der nördlichen Stadtteile bezeichnet einen Prozess lange währender Verhandlungen und schließlich eine Entscheidung von solcher Tragweite, dass sie die Entwicklung unserer Stadt bis heute beeinflusst. 

Abgesehen davon, dass Regensburg durch die Eingemeindung an Einwohnern und Flächen für notwendig gewordene Verkehrs- und Wohnungsbauten dazugewann, profitierten auch die Eingemeindeten von Wasserleitungen, einer Straßenbahn oder Sozialleistungen. 

Nach dem 1. Weltkrieg herrschten in Regensburg katastrophale Verhältnisse.

  • Zwei Drittel der Bevölkerung waren unterernährt.
  • Wegen der grassierenden Tuberkulose und anderer Krankheiten nannte man Regensburg die Seuchenstadt.
  • Die Säuglingssterblichkeit lag bei fast 27 Prozent und damit deutlich höher als in anderen bayerischen Städten. 
  • Es herrschten Massenarbeitslosigkeit und Inflation.
  • 1922 waren 1.400 Familien ohne Wohnung.

Die Wohnungsnot war die zentrale soziale Frage der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Baugenossenschaften sprossen aus dem Boden und entwickelten Modelle für einen neuen Siedlungsbau. Doch zur Realisierung der neuen Wohn- und Verkehrsprojekte fehlten die Flächen.

In dieser Gemengelage aus Hunger, Krankheit und Wohnungsnot in einer arg beengten Stadt fasste Oberbürgermeister Otto Hipp mit seinem Stadtrat weitreichende Entscheidungen. Im Ressort der Stadtentwicklung standen Investitionen in Neubauten auf dem Programm. Dazu gehörten beispielsweise Krankenhäuser, wie die Städtische Kinderklinik, der soziale Wohnungsbau und das Werben um Industrieansiedlungen. Eine Startbahn in Prüfening zählte ab 1925 täglich Flüge von und nach München und Nürnberg.

1926 produzierte Regensburg den ersten touristischen Werbefilm. Die Übernachtungszahlen stiegen, ebenso die Bekanntheit unserer Stadt.

Und schließlich führten Bürgermeister und Stadträte Verhandlungen über die Eingemeindung der angrenzenden Gemeinden, um weitere Projekte voranzubringen. Ganz oben auf ihrer Agenda standen Wasserversorgung, Nahverkehr und der Wohnungsbau.

Um es vorwegzunehmen: Zwischen 1923 bis 1928 wurden in Regensburg 1.000 neue, bezahlbare Wohnungen gebaut!

Regensburg ergriff vor gut 100 Jahren die Flucht nach vorn. Die herrschende Not spornte an – für ein besseres Leben in der Domstadt. Auch in den Stadtrandgemeinden herrschte Mangel. In Keilberg etwa gab es keine Wasserversorgung. Aus zwei Tiefbrunnen schleppten die Leute ihr Trinkwasser nach Hause.

Mit der Eigemeindung nach Regensburg 1924 verbesserte sich das Leben in den nördlichen Stadtteilen. Regensburg wuchs. Die Fläche verdoppelte sich und die Zahl seiner Einwohnerinnen und Einwohner stieg um fast 19.000 an und lag jetzt bei ungefähr 75.000. 

Sowohl Regensburg als auch die Eingemeindeten profitierten wirtschaftlich und gesellschaftlich, an gesicherter Wasser- und Stromversorgung, am Ausbau der Schulen, der Straßen, der Straßenbahn und der Teilhabe am leistungsfähigeren Sozialsystem.

Und: die neuen Stadtteile brachten viele eigene Traditionen und Spezialitäten mit, die unsere Stadt teils bis heute prägen:

  • Keilberg mit seinem Kalkabbau, aber auch mit seinen legendären Erdbeeren (früher auch „Keilberger Ananas“ genannt)
  • das traditionelle Handwerker-Viertel Reinhausen,
  • das Sallerner Wasserwerk, das zu den ältesten in Bayern gehört,
  • Gemüse und Wein aus Winzer,
  • der berühmte Weichser Radi, oder auch
  • die Konradsiedlung mit ihrer ganz eigenen Gemeinschaft, die bis heute jedes Jahr in den traditionellen Siedlerfesten zum Ausdruck kommt. 

Und auch wer einen Spaziergang auf dem Dreifaltigkeitsberg unternimmt, ein Spiel in der Armin-Wolf-Arena anschaut oder die Dult besucht, dürfte wohl kaum darüber nachdenken, dass er dafür vor 100 Jahren noch die Stadtgrenze hätte überqueren müssen.

Als Oberbürgermeisterin lese ich die Eingemeindung der nördlichen Stadtteile heute als ein Beispiel für vorbildliches und vorausschauendes Agieren in schwierigen Zeiten. Die Geschichte dieser Eingemeindung handelt von Zusammenhalt und Vielfalt, von Einigkeit und einer Debattenkultur, die stark macht, integriert und Zukunft als gemeinsame Herausforderung begreift. Zu erkennen, welche Hürden unsere Stadt in der Vergangenheit bereits genommen hat, stimmt zuversichtlich.

100 Jahre nach der Eingemeindung der nördlichen Stadtteile Regensburgs stehen wir heute vor anderen Herausforderungen in einer anderen Zeit. Unsere Welt ist globaler und diverser geworden, tradierte Modelle des Zusammenlebens tragen nicht mehr, Digitalisierung und künstliche Intelligenz bergen ebenso Chancen wie Risiken und der Klimawandel fordert konzertiertes Handeln.

Sehr geehrte Festgäste, Sie merken, im Gegensatz zur zentralen sozialen Frage nach dem 1. Weltkrieg ist einiges hinzugekommen. Wesentlich ist, dass heute alle Fragen unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit des Umwelt- und Klimaschutzes betrachtet werden. 

Global gesehen leben die meisten Menschen in Städten. Für die Städte bedeutet das, dass sie einen immens großen Beitrag zur Lösung dieser Fragen leisten können und entsprechend große Verantwortung tragen. – Wir nehmen diese Verantwortung gerne an.

Übersetzt in eine andere Zeit mit anderen Vorzeichen und anderen Herausforderungen, tun wir das, was unsere Stadtoberen vor 100 Jahren auch getan haben. Wir stellen unsere Stadt zukunfts- und enkelsicher auf – unter dem Motto: Zukunft.gemeinsam.gestalten.

Herzliche Einladung an Sie alle, diesen Prozess aktiv mitzugestalten.

Nun freuen wir uns auf den Festvortrag unseres Stadtheimatpflegers Herrn Prof. Dr. Gerhard Waldherr, der die Themen „Stadtteil-Identität“ und „Stadtheimatpflege“ neu beleuchten wird.

Vielen Dank dafür!